Nachdem der Magistrat beschlossen hatte, die Hindenburgstraße umzubenennen, können AktivistInnen für die Umbenennung der Straße einen weiteren Erfolg feiern: Das Verfahren gegen drei Personen wegen Amtsanmaßung und Sachbeschädigung wird eingestellt. Sie hatten im Januar 2018 die Straßenschilder der Hindenburgstraße mit dem Schriftzug „Halit-Yozgat-Straße“ überklebt.
Jahrzehntelang störte sich kein Lokalpolitiker Darmstadts an der Benennung einer großen Straße nach demjenigen, der dem Terrorregime der Nazis den „roten Teppich“ ausgelegt hatte. Auch die Sozialdemokraten Darmstadts, die zu den nach den Kommunisten am meisten bedrängten und verfolgten Parteien gehörte und in Darmstadt mit einer großen Mehrheit Jahrzehnte lang regierte, sah keinen Handlungsbedarf. Eine Frage des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Darmstadt, Moritz Neumann, im Vorwort des 2000 erschienen Buches „Von Adelung bis Zwangsarbeit“ „Warum heißt eigentlich die Hindenburgstraße noch immer Hindenburgstraße?“ blieb ohne erkennbare Reaktion der Darmstädter Kommunalpolitik.
Auch als zivilgesellschaftliche Organisationen, zusammen geschlossen im „Bündnis gegen Rechts“ ab den 2000er Jahren regelmäßig mit Demonstrationen Veranstaltungen und anderen Aktionen auf eine Umbenennung der Hindenburgstraße drängten, schlug nur die PDS 2004 vor, die Straße nach dem Darmstädter Widerstandskämpfer und NS-Opfer Arvid Harnack zu benennen. Es folgten zaghafte Erklärungen der Grünen. Die SPD schwieg und die CDU sowieso.
Der weiter anhaltende Druck führte wohl zu einem ersten Schritt zur grundsätzlichen Klärung der Neu-Benennung von Straßen mit Namen belasteter Personen. Am 19. Februar 2013 beschloss die Stadtverordnetenversammlung den Magistrat zu beauftragen, alle Namensgeberinnen und Namensgeber von Darmstädter Straßennamen daraufhin zu überprüfen, ob deren Leben bzw. politische Einstellung sich mit den Werten einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft vereinbaren lässt.
Überzogene Reaktion der Staatsgewalt und Rückzug
Die drei Mitglieder des „Bündnisses gegen Rechts“ hatten, um die Notwendigkeit einer Umbenennung zu unterstreichen, am Vortag der sogenannten „Machtergreifung“ – besser Machtübertragung durch Hindenburg an Adolf Hitler – die Straßenschilder der Hindenburgstraße in einer symbolischen Aktion erneut mit dem Namen „Halit-Yozgat-Strasse“, einem Opfer der rechten Mörderbande NSU, überklebt. Der nächtliche Polizeieinsatz von vier Einsatzwagen und neun (9!!!) PolizeibeamtInnen führte zu einer Feststellung der Personalien und der Ankündigung einer Strafanzeige. Angesichts der allzeit behaupteten Personalknappheit der Polizei ist dies beachtlich. Der Strafvorwurf lautete Amtsanmaßung und Sachbeschädigung. Beides wiesen die drei von der Polizei angetroffenen RentnerInnen mit Entschiedenheit zurück.
Im August 2018 bot die Staatsanwaltschaft von der Erhebung einer öffentlichen Anklage bei Zahlung von jeweils 200 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung abzusehen. Da dies einem Schuldeingeständnis gleichgekommen wäre, wurde das großherzige Angebot abgelehnt. Folglich erhielten die drei Rentner im September 2018 eine Anklageschrift.
Im März 2019 folgte die Ladung zu einer Erkennungsdienstlichen Behandlung, die im Nachhinein Prinzip nur bei vermutlichen Wiederholungstätern angewandt wird. Diesem Kriminalisierungsversuch und eindeutiger Provokation wurde widersprochen.
Im Widerspruchsbescheid des Polizeipräsidiums Südhessen vom Juni 2019 wurde festgestellt, dass ihr Verlangen nach einer ED-Behandlung rechtswidrig gewesen sei. Wenige Wochen später, nachdem die Justiz vor der Frage stand, sich in einer öffentlichen Verhandlung mit diesem Komplex beschäftigen zu müssen, wurde nach Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten durch das Amtsgericht Darmstadt das Strafverfahren auf Kosten der Staatskasse eingestellt.
Auch nachdem der Magistrat beschlossen hat, neben der Hindenburgstraße sieben weitere Straßen umzubenennen, bleiben noch genügend Straßen übrig, die nach NS-Belasteten Personen benannt sind. Zu nennen sind hier die Robert-Cauer-Straße, der Hoetgerweg, der Krolow-Weg und der Max-Ratschow-Weg, für dessen Umbenennung der vom Magistrat bestimmte Beirat zwar mehrheitlich, aber nicht einstimmig votierte.
Auch die nach Karl Esselborn, Richard Hammer, Gerhart Hauptmann, Arnold Krieger, Otto Leydhecker, Albin Müller, Heinz Winfried Sabais, Carl Christoph Schmelzer, Wilhelm Stühlinger, Frank Thiess, Emil Voltz und Heinrich Zernin benannten Wege und Straßen bedürfen einer Umbenennung.