Wir sind auch heute wieder hier, denn trotz eines Votums zur Umbenennung der Hindenburgstraße – und sechs weiterer Straßen in Darmstadt – durch die Straßenbenennungskomission und auch eines entsprechenden Parlamentsbeschlusses im Mai 2019 müssen wir auf den Straßenschildern noch immer Hindenburgstraße lesen.

Heute vor 87 marschierte ein Fackelzug aus Mitglieder der NSDAP durch das Brandenburger Tor um den gerade ernannten neuen Reichskanzler Adolf Hitler zu bejubeln. Was folgte, war das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte: Der 2. Weltkrieg einhergehen mit der industriell organisierten Ermordung von Jüd_innen, Sinti und Roma, Homosexuellen, Asozialen, Behinderten und politischer Gegner_innen. Untrennbar mir der Machtübergabe an die Nationalsozialisten verbunden ist der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg, der Hitler am 30. Januar zum Reichskanzler ernannt hat.

1915 wurde die Straße, an der wir stehen, nach Paul von Hindenburg benannt. Aus heutiger Sicht muss Hindenburg nicht nur wegen seiner Rolle bei der Machtübergabe als Antidemokrat und rechter Reaktionär gesehen werden.

Hindenburg war ein Monarchist, dessen Aufstieg eher auf eine erfolgreiche Vermarktung der eigenen Rolle, insbesondere bei der „Schlacht von Tannenberg“, als auf seine Fähigkeiten zurückzuführen sind. Als Führungsfigur der Obersten Heeresleitung baute er die Befugnisse dieser soweit aus, dass heute nahezu von einer Militärdiktatur gesprochen werden kann. Kriegsverbrechen wie die Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Bootkrieges, der auch Zivilschiffe als Ziel festlegt, zählen zu den Entscheidungen dieser Zeit. Hindenburg war nachweislich Vertreter der Dolchstoßlegende und bediente so ein Narrativ rechter Kräfte. 1925 als Reichspräsident, gewählt besaß er die Macht, Regierungen zu ernennen und den Reichstag aufzulösen. Bereits vor der Ernennung von Hitler war er sich für die Bildung rechtsgerichteter Regierungen, der sogenannten Präsidialkabinette, verantwortlich, die zwar keine demokratische Mehrheit hatten, aber über Notverordnungen Gesetze erließen. Nachdem der Reichstag 1930 diese Notverordnung außer Kraft setzte, wurde dieser von Hindenburg aufgelöst. 1932 wurde er, um Hitler zu verhindern, zwar mit den Stimmen von u.a. der SPD als Reichspräsident wiedergewählt, jedoch schloss der damalige Abgeordnete der NSDAP, Joseph Goebbels, vermutlich relativ treffend, dass Hindenburg „seinem Namen, seiner Vergangenheit und seinen Leistungen nach zu uns [gehört] und nicht zu denen, die heute bereit sind, ihm ihre Stimme zu geben.“

Bereits im Jahr 2000 wurde von dem damaligen Vorsitzenden der jüdische Gemeinde Darmstadt, Moritz Neumann, die Namensgebung der Hindenburgstraße in Frage gestellt.

2002 und 2004 wurden Anträge zur Umbenennung der Hindenburgstraße in der Stadtverantwortlichenversammlung gestellt. 2005 sprach sich die Straßenbenennungskomission einstimmig für die Umbenennung der Hindenburgstraße aus.

Eine durch das Parlament daraufhin durchgeführte Anwohnerbefragung – bewusst keine Bürgerbefragung in der Stadt – votierte negativ und verhinderte die Umbenennung.

Als Oppositionsparteien entdeckten sowohl Grüne als auch SPD (- die SPD nach 50 Jahren -) das Thema Hindenburgstraße wieder für sich. Allerdings fand sich in den letzten 20 Jahren der Diskussion um die Benennung einer der Darmstädter Hauptverkehrsstraße keine der – wechselnden – politischen Mehrheiten bereit, das „Problem Hindenburgstraße“ wirksam anzugehen. Es war ein Trauerspiel. Von einer politischen Erinnerungskultur kann nicht die Rede sein.

Seit 2013 machte das Bündnis gegen Rechts durch verschiedenste Kundgebungen, Veranstaltung und Aktionen darauf aufmerksam, das es an der Zeit ist, die Hindenburgstraße umzubenennen.

Am 30. Januar 2018 beschlossen wir als Bündnis gegen Rechts daher die Sache selbst in die Hand zu nehmen und überklebten die Straßenschilder der Hindenburgstraße mit dem Namenszug Halit-Yozgat-Straße. Benannt nach dem letzten und 10. bekannten Opfer des NSU, Halit Yozgat. Der Name sollte stellvertretend für die damals mindestens 195 Toten durch rechtsextreme Gewalt seit 1990 in Deutschland stehen. Dies bereits mit Blick auf das Anstehende Urteil im NSU-Prozess, in dessen Verlauf der Rassismus deutscher Behörden und die Verstrickungen des Verfassungsschutzes in die rechtsextreme Szene deutlich geworden war, jedoch in der staatlichen Aufarbeitung nahezu ignoriert wurde.

Eine durch eine aufmerksame – oder besorgte – Bürgerin herbeigerufene Polizeistreife nahm die Personalien dreier im BgR aktiven Senior_innen auf. Es fand ein Ermittlungsverfahren wegen Amtsanmaßung undgemeinschädlicher Sachbeschädigung statt, das im August 2019 eingestelltwurde.

Die Aktion und das hieraus resultierende Ermittlungsverfahren waren insofern ein Erfolg, da die Repression für Darmstädter und bundesweite Aufmerksamkeit sorgte und so auch zu dem öffentlichen Druck führte, den längst überfälligen Entschluss zu fassen, die Straße zusammen mit sieben weiteren mit NS-Bezug belasteten Straßen-Namen umzubenennen. Unterstützt darin hat ein durch die Stadt Darmstadt in Auftrag gegeben Untersuchung zu sämtlichen möglicherweise NS-belasteten Straßennamen.

Durch den NSU-Prozess und die NSU-Untersuchungsausschüsse ist es nicht gelungen, das Netzwerk aus Neonazis und Verfassungsschutz aufzudecken. Die Rolle des damaligen Verfassungsschützers Andreas Temme, der bei der Ermordung Halit Yozgats im gleichen Raum des Internet-Cafes anwesend war, ist weiter ungeklärt. Andreas Temme der später in dem Amt unter Walter Lübcke arbeitete, der im letzten Sommer mutmaßlich durch den Neonazi Stephan Ernst erschossen wurde.

Die Benennung nach Halit Yozgat wäre Erinnerung an die Opfer des Neonazismus, Mahnung an den fehlenden Ermittlungs- und Aufklärungswille deutscher Behörden und Anklage an das bestehende Netz aus Verfassungsschutz und Neonazis.

Wir halten an unserer seit 2013 erhoben Forderung der Umbenennung in Halit-Yozgat-Straße aus den genannten Gründen fest.

Erklärung des Forums der Landesarbeitsgemeinschaften der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen in Deutschland und der Arbeitsgemeinschaft KZ-Gedenkstätten, verabschiedet auf der 8. bundesweiten Gedenkstättenkonferenz in Flossenbürg (Oberpfalz)

Wir fordern, dass die VVN-BdA als eingetragener Verein die Gemeinnützigkeit weiterhin und dauerhaft behält. Das fordern wir auch für alle Organisationen und Vereine, die sich durch ihr Engagement für eine demokratische Gesellschaft, gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus einsetzen.

Dem Bundesverband der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes /Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) wurde im November die Gemeinnützigkeit entzogen. Das Berliner Finanzamt für Körperschaften stützt sich dabei im Wesentlichen auf eine Nennung der VVN-BdA im Bayrischen Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 2016.

Für uns war und ist die VVN-BdA ein wichtiger Partner und Akteur in der Gedenkarbeit. Von Überlebenden der Konzentrationslager und Gefängnisse 1947 gegründet, setzt sich die VVN-BdA nicht nur für die Erinnerung an die Opfer und Orte der NS-Verbrechen ein, sondern sie war in vielen Bundesländern Gründungsmitglied der Landesarbeitsgemeinschaften der Gedenkstätten. Sie nimmt auch in der Gegenwart eine wichtige Rolle wahr, engagiert sich gegen einen zunehmenden gesellschaftlichen Rechtsruck, mit dem auch die Gedenkstätten- und Erinnerungsarbeit konfrontiert ist. Für Gedenk- und Vortragsveranstaltungen sowie Zeitzeugengespräche ist die Zusammenarbeit mit der VVN-BdA von großer Bedeutung – sie trägt zu einer demokratischen Erinnerungskultur bei. Ein Entzug der Gemeinnützigkeit verhindert dieses ehrenamtliche Engagement und muss deshalb zurückgenommen werden.

Eine demokratische und zivilgesellschaftliche Erinnerungskultur wird vielfach von gemeinnützigen Vereinen getragen und darf nicht dadurch geschwächt werden, dass man Gemeinnützigkeit immer enger definiert. Wir protestieren gegen dieses fatale geschichtspolitische Signal und fordern die Rücknahme der Entscheidung des Berliner Finanzamtes für Körperschaften!

Flossenbürg, 5.12.2019

Forum der Landesarbeitsgemeinschaften der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen in Deutschland
Andreas Ehresmann, Kirsten John-Stucke, Dr. Harald Schmid, Dr. Rainer Stommer (Sprecherrat)

Arbeitsgemeinschaft KZ-Gedenkstätten – Prof. Dr. Detlef Garbe (Sprecher)