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Rede zum 30. Januar 2021 – 105 Jahre Hindenburgstraße sind genug! – Aber: Noch weitere Straßen warten auf eine Umbenennung!

Jahrelange Arbeit und öffentlicher Druck haben letztlich dazu geführt, dass nach Hindenburg bald keine Straße mehr in Darmstadt benannt ist.
Doch lasst uns einen Blick zurück werfen: Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Darmstadt hatte den Magistrat im Frühjahr 2013 beauftragt, alle Namensgeberinnen und Namensgeber von Darmstädter Straßennamen daraufhin zu überprüfen, ob deren Leben bzw. politische Einstellung sich mit den Werten einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft vereinbaren lässt.
Die Stadt Darmstadt hatte einen Historiker mit einer entsprechenden Untersuchung beauftragt, der diese im April 2019 mit dem Titel „Projekt Darmstädter Straßennamen – Biografien erarbeitet von Dr. Holger Köhn, Büro für Erinnerungskultur“ vorgelegt hat. Sie wurde veröffentlicht und ist im Internet abrufbar. Der 430 Seiten starke Bericht umfasst etwa 110 Biografien.
Zur Bewertung der Ergebnisse hat sich ein vom Magistrat berufener Fachbeirat von sieben Kriterien leiten lassen:
(1) aktive Förderung des Nationalsozialismus in führender Stellung
(2) aktive Mitarbeit in der NSDAP und/oder deren Massenorganisationen)
(3) aktive Verbreitung der NS-Ideologie, u. a. aggressiver Antisemitismus und/oder extremer Rassismus, Führerkult in Gedanken und/oder Wirken/Praxis
(4) Anbiederung an das NS-Regime zum persönlichen Fortkommen/Aufstieg/Karriere
(5) gezielte Ausnutzung spezifisch nationalsozialistischer oder kriegsbedingter Vorteile zugunsten des Betriebs oder des Forschungsbereichs
(6) gravierende/signifikante Vertuschung bzw. Lügen zur NS-Vergangenheit nach Ende der NS-Herrschaft (z.B. im Entnazifizierungsverfahren) (zur Fortsetzung der „Karriere“ bzw. zum persönlichen und/oder beruflichen Fortkommen)
(7) unkritische Befürwortung des Krieges, auch seiner Fortsetzung/Verlängerung, z.B. durch Forschung zu Waffen, Massenvernichtungsmitteln
In sieben Fällen empfahl der Fachbeirat einstimmig die Umbenennung: von der Au Straße, Brandisstraße, Georgiiplatz, Grundstraße, Kleukensweg, Kuhnweg, Alarich-Weiss-Straße.

In fünf Fällen war der Beirat im Hinblick auf die Umbenennung geteilter Meinung und plädierte mehrheitlich, aber nicht einstimmig für eine Umbenennung: Robert-Cauer-Straße, Hoetgerweg, Krolowweg, Max-Ratschow-Weg, Hindenburgstraße. In weiteren fünf Fällen war der Beirat nach kritischer Würdigung für die Beibehaltung: Hammerweg, Kriegerweg, Albinmüllerweg, Sabaisplatz, Schmelzerweg Umbenannt werden also: von der Au Straße, Brandisstraße, Georgiiplatz, Grundstraße, Kleukensweg, Kuhnweg, Alarich-Weiss-Straße, und die Hindenburgstraße, trotz nicht einstimmiger Empfehlung des Fachbeirats – die Geschichte kennen wir. Namensvorschläge sollten an den Magistrat geschickt werden!
Nicht umbenannt werden also die folgenden Straßen: Robert-Cauer-Straße, Hoetgerweg, Krolowweg, Max-Ratschow-Weg, Hammerweg, Kriegerweg, Albinmüllerweg, Sabaisplatz, Schmelzerweg. Diese und eine ganze lange Reihe weiterer Straßen warten allerdings dringend auf eine Umbenennung!
Von 1947 bis 2007 wurden 33 Straßen nach Personen mit eindeutiger bzw. problematischer Einstellung zum Nationalsozialismus benannt. Sie wurden benannt, als die ehrwürdige alte Sozialdemokratie, die selbst vom NS-Regime verboten wurde und ihre Mitglieder verfolgt und auch ermordet wurden, politische Möglichkeiten zur Umbenennung gehabt hätte! Ein echtes Trauerspiel. Und keine sozialdemokratisch dominierte Stadtregierung (1945-1950 OB Ludwig Metzger, 1951-1971 OB Ludwig Engel, 1971-1981 OB Heinz Winfried Sabais, 1981-1993 OB Günther Metzger, 1993- 2005 OB Peter Benz, 2005-2011 OB Walter Hoffmann) traute sich oder wollte eine Umbenennung vornehmen. Es allerdings gibt Hinweise auf alte Seilschaften und vermutlich auch Rücksichten auf bestimmte Wählerschichten. Dies sind die betreffenden Straßen: 1947: Robert-Schneider-Straße, 1949: Zerninstraße, 1953: Gerhart-Hauptmann-Straße, Wilhelm-Michel-Straße, Emil-Voltz-Straße, 1954: Kröhweg, 1956: Leydheckerstraße, 1958: Habichweg, 1958/59: Brambachweg, 1963: Hartmuth-Pfeil-Weg , 1964: Robert-Cauer-Straße, 1968: Stauffenbergstraße, 1973: Hoetgerweg, 1978: Hoelscherweg, 1979: Hammerweg, Kriegerweg, 1981: Esselbornstraße, Thießweg, Edschmidweg, 1987: Albinmüllerweg, 1988: Prinz-Ludwig-Weg, Wiesenthalweg, 1989: Sabaisplatz, 1989/1992: Borsdorffstraße, 1991: Max-Ratschow-Weg, 1997: Elisabeth-Noack-Platz, 1999: Krolowweg, 2001 Heinrich-Jobst-Treppe, 2002: Schmelzerweg, Henriette-Sennhenn-Straße, 2004: Andresweg, Von-der-Marwitz-Weg, Stühlingerweg, 2007: Liesjeweg, benannt nach Georg Benz (1901-1989), Arheilger Mundartdichter, bekannt als „Oarhelljer Liesje“.

Aus dieser langen Liste will ich einige wenige herausgreifen:
1964 Robert-Cauer-Straße (in der Nähe des Böllenfalltors) (1863-1947), Bildhauer, Werke in Darmstadt: 1924 Denkmal für die „Kriegsgefallenen“ in der Johanneskirche, 1925 Denkmal für die „gefallenen“ Lehrer der Viktoriaschule, 1927 Artillerie-Denkmal, das einen eine Handgranate werfenden Soldaten darstellt (daher auch „Der Handgranatenwerfer“ genannt). 1931/1932 Grabmal des 1931 verstorbenen nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten und Gauleiters Peter Gemeinder auf dem Waldfriedhof. 1934-1945 NSV. 1936 Bronzestatue einer Soldatenfigur im Sturmangriff in Rinteln. Vor 1933 beim VDA. Cauers Sohn trat der NSDAP am 1.10.1930 bei. Robert Cauer galt als politisch zuverlässig. OB Wamboldt wertete Cauers Bereitschaft, das Grabmal Gemeinders zu gestalten, als Ausdruck dessen politischer Haltung. In der Berichterstattung zu einer Jubiläums-Ausstellung anlässlich Cauers 75. Geburtstags wurde Wamboldt zitiert: „Cauers künstlerisches Schaffen zeuge für sich und ihn selbst, denn Cauer habe nie jenen destruktiven Tendenzen gehuldigt, die wir heute als entartete Kunst ansprechen, vielmehr sei er Zeit seines Lebens ein unbedingt deutschbewußter Künstler gewesen, und nichts spreche überzeugender für ihn, als daß er auch schon inmitten der Kampfzeit zu uns gestanden sei, was ja deutlich aus der Schaffung des Peter-Gemeinder-Grabmals hervorgehe“ (Hess. Landeszeitung 1938). Im Meldebogen des
Entnazifizierungsverfahrens gab Cauer 1946 als Selbsteinschätzung „Gruppe V“ an. Er wurde als „Vom Gesetz nicht betroffen“ eingestuft.

1973 Hoetgerweg (auf der Mathildenhöhe) (Berhard Hoetger 1874-1949) Bildhauer, Maler. 1909 an die Künstlerkolonie berufen und zum Professor ernannt. 1919 Gründungsmitglied der Darmstädter Sezession. Er hatte nicht nur Sympathien für die Nazis, sondern wurde auch 1934 als Maler und Bildhauer Mitglied der Reichskulturkammer. Mitglied der NSDAP, aus der er aber 1938 wegen „abweichender Kunstauffassung“ wieder ausgeschlossen wurde. Hitler hatte ihn 1936 auf dem NSDAP-Reichsparteitag scharf angegriffen. In der Ausstellung im Juli 1937 „Entartete Kunst“ in München war Hoetger mit seinen Werken vertreten. Seine Klage gegen den Ausschluss blieb vergeblich. Die Partei bestätigte ihm, daß er „ein ehrlicher Deutscher und begeistert von dem Aufbauwerk des Führers ist“ und man hofft, daß er „auch wenn er nicht Parteigenosse sein kann, sich nicht zurückzieht aus der alle deutschen Menschen umfassenden von der Bewegung geführten olksgemeinschaft und sich in der Zukunft als wertvolles aufbauendes Element in ihr erweist“, aber die „zersetzende Wirkung“ seines Schaffens der Nachkriegszeit sowie die darin zum Ausdruck kommende „politisch links gerichtete Haltung“ überwiegen die positiv gewerteten Ansätze und verursachen seine Ausgrenzung.“

1999 Krolowweg (auf der Rosenhöhe) (Karl Krolow 1915-1999) Ein Dichter und Lyriker, der sich dem Nationalsozialismus verschrieb. Seit 1956 Darmstadt. 1951 Mitglied des deutschen PEN, 1953 Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung mit Sitz in Darmstadt. Vielfach geehrt: 1966 Vizepräsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und 1972 Präsident, 1956 Georg-Büchner-Preis der Stadt Darmstadt, 1975 Goethe-Plakette des Landes Hessen, 1975 Silberne Verdienstplakette der Stadt Darmstadt, 1975 Großes Bundesverdienstkreuz, 1976 Ehrendoktorwürde der THD, 1983 Hessischer Kulturpreis, 1990 Hessischer Verdienstorden. Seit 1. Mai 1937 Mitglied der NSDAP. 1941 beantragte er die Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer. 1943 und 1944 veröffentlichte Krolow Lyrik und Prosastücke in der dem Reichspropagandaminister Goebbels unterstehenden Renommierzeitschrift „Das Reich“ und konnte auch in der NS-Zeit recht umfangreich publizieren. So erschienen von 1939 bis 1944 sieben Aufsätze zur deutschen Lyrik in Zeitschriften,1940 acht, 1941 vierzehn, 1942 siebzehn,1943 dreizehn und 1944 zehn, alles Erstveröffentlichungen, alle in allgemeinen Presseorganen. Eine Darmstädter Zeitung berichtete am 7.3.2015 unter der Überschrift „Herausragender Kopf der Lyrik“, über eine Lesung am 11.März im Literaturhaus aus Anlass seines 100. Geburtstags. Diese Veranstaltung sei auf ein großes Interesse gestoßen, der Veranstaltungsraum sei bis auf den letzten Platz besetzt gewesen, berichtete eine Darmstädter Zeitung am 13.3.2015. So habe Stadträtin Iris Bachmann (Grüne) in das Leben von Krolow eingeführt. Dabei handelte es sich um „einen knappen Überblick über die verschiedenen literarischen Genres, denen sich Krolow widmete“, danach folgte eine Auflistung der vielen Auszeichnungen, die Krolow erhalten habe. „Anschließend kennzeichnete der Vorsitzende der Hessischen Literaturfreunde, Peter Benz, Krolow als poetisch hervorragend und menschlich anrührend“.

1953: Gerhart-Hauptmann-Straße (in Arheilgen) (1862-1945) Dramatiker und Schriftsteller. Er schrieb 1889 in seinem Werk, dem Drama „Vor Sonnenaufgang“: „Es ist verkehrt, den Mord im Frieden zu bestrafen und den Mord im Kriege zu belohnen. Es ist verkehrt, den Henker zu verachten und selbst, wie es die Soldaten tun, mit einem Menschenabschlachtungs-Instrument, wie es der Degen oder der Säbel ist, an der Seite stolz herumzulaufen. Den Henker, der das mit dem Beile täte, würde man zweifelsohne steinigen. Verkehrt ist es dann, die Religion Christi, diese Religion der Duldung, Vergebung und Liebe, als Staatsreligion zu haben und dabei ganze Völker zu vollendeten Menschenschlächtern heranzubilden …“.So weit, so gut. Hauptmann hatte eine sehr indifferente wechselhafte Einstellung zum Nationalsozialismus. Er unterzeichnete am 16. März 1933 eine Loyalitätserklärung der deutschen Akademie der Dichtung und beantragte Aufnahme in die NSDAP. Von der örtlichen Parteiorganisation wurde dies aber abgelehnt. Von Hitlers Reichstagsrede am 17. Mai 1933 war er tief beeindruckt. Hitlers Siege kommentierte er 1940 mit „Deutschland steht vor der Weltherrschaft. … Dazu bedurfte die Geschichte Adolph Hittlers (sic!) Weltgenie.“ Bei der Premiere der „Jungfern vom Bischofsberg“ in Berlin 1943 saß er in der Ehrenloge mit Hermann Göring. In der FAZ vom 2. Mai 2008 gibt Marcel Reich-Ranicki zu Protokoll: „Jawohl, ich habe es gesehen: Der greise Hauptmann, zu dessen Aufstieg zum großen Teil Juden beigetragen haben …, kannte tatsächlich keine Hemmungen, die Hand zum Hitlergruß zu erheben.“ 1944 wurde er von Hitler in die „Gottbegnadeten-Liste“ aufgenommen. Auch kam er auf eine Sonderliste der unersetzlichen Künstler, was ihn von sämtlichen Kriegsverpflichtungen befreite. Bei Wilhelm von Sternburg in der FR lesen wir: „Den Ersten Weltkrieg begleitete dieser als Humanist gefeierte Dichter mit englandfeindlichen Attacken und chauvinistischen Gedichten. … Er lässt sich vom Dritten Reich vereinnahmen, lobt öffentlich das „Genie“ des Führers. … Er ist ein deutscher Bürger seiner Zeit: Nicht frei von antisemitischen Gedanken – er bewundert die heftige Antisemitin Cosima Wagner und ihren Schwiegersohn, den Rassepropagandisten Houston Stewart Chamberlain …“.

1953 Wilhelm-Michel-Straße (in Bessungen) (1877-1942) Schriftsteller. 1913 zog er nach Darmstadt, wurde Redakteur der Zeitschrift „Deutsche Kunst und Dekoration“ des Verlegers Alexander Koch. 1919 Mit-Begründer der Darmstädter Sezession. Er schrieb für „Das Tribunal“ und den Hessischen Volksfreund. 1925 Georg Büchner-Preis. 1922 veröffentlichte er eine „Streitschrift zur Judenfrage“ mit dem Titel „Verrat am Deutschtum“, in der er sich mit dem erstarkenden Judenhass in Deutschland auseinandersetzte. 1928 Reichbanner Schwarz-Rot-Gold. Über seine Zeit im Nationalsozialismus wird vielfach geschwiegen. Denn Michel ließ sich nach 1933 mit den Nationalsozialisten ein. So schrieb er in dem Artikel „Die Kunst im neuen Deutschland“ im Darmstädter Tagblatt am 2. Mai 1933, also direkt nach der Besetzung der Gewerkschaftshäuser durch die Nazis u. a. „Im Felde der Kunst und ihrer Pflege sind neuerdings verschiedene Maßnahmen und programmatische Erklärungen ergangen. Sie lenken den Sinn auf die Frage, wie sich das neue Deutschland zum künstlerischen Zeitausdruck stellen wird. Für eine fruchtbare Erörterung dieser Frage gibt es nur eine Grundlage: die grundsätzliche Anerkennung
der geistigen Veränderung, die sich in Deutschland angebahnt hat.“ 1933 NSReichsschrifttumskammer. Zuckmayer schreibt in seinem „Geheimreport“ über Michel: „Aus einem vorzüglichen Literaturhistoriker, speziell Hölderlinforscher … wurde auf dem bekannten Umweg über Verbitterung, materielle und berufliche Erfolglosigkeit ein unduldsamer, bösartiger Nazimitläufer …“ .

1958: Habichweg (am Marienhospital) (Ludwig Habich 1872-1949). Bildhauer. In Darmstadt schuf er viele Plastiken, Denkmäler und Grabmale. Von den Nationalsozialisten wurde er sehr verehrt. Unter anderen Kunstwerken wurde auch die lebensgroße Figur der „Deutsche Gruß“ – ein nackter Jüngling erhebt die Rechte zum Gruß – als besonders bekanntes Werk bekannt. Es war für die lokalen Nationalsozialisten ein so bedeutendes Werk, dass er hierfür den Kulturpreis für 1940 in Höhe von 3.000 RM erhielt. Die Statue war bereits im Jahr 1900 entstanden und wurde von Habich noch „Den Sternen entgegen“ genannt. Mitgliedschaften: 1933-1945 NSDAP, NSV, Reichskulturkammer.

1968: Stauffenbergstraße (Nahe des Staatstheaters) (Claus Schenk Graf v. Stauffenberg 1907-1944). Obwohl hier nicht der Platz ist, sich vertieft mit dem deutschen Widerstand auseinander zu setzen, muss doch kurz darauf eingegangen werden. Seit am 19. Juli 1953 das Denkmal für die Opfer des 20. Juli 1944 im Berliner Bendlerblock eingeweiht wurde, finden jährlich an diesem Tag vielen Gedenkveranstaltungen statt, Redner betonen den deutschen Widerstand, besonders des militärischen gegen den Nationalsozialismus. Viele Jahre nach 1945 galten Widerstandskämpfer noch als Vaterlandsverräter. Ebenso muss daran erinnert werden, dass die Widerstandskämpfer des 20. Juli mitnichten alle Demokraten waren. Als Hitler Reichskanzler wurde, war Stauffenberg junger Reichswehroffizier, bejahte das Führerprinzip, die Idee der Volksgemeinschaft, den Rassegedanken und den Antisemitismus. Für die parlamentarische Demokratie hatte er nur Verachtung übrig. Die Rüstungspläne Hitlers begrüßte er ebenso wie er den soldatischen Eid auf Hitler persönlich leistete. Auch ist nicht bekannt, dass er gegen den Röhm-Putsch 1934 oder gegen die Nürnberger Rassegesetze von 1935 protestiert hätte. Die Reichspogromnacht 1938 nahm er wohl auch hin. Und 1938 war er am Einmarsch in die Tschecheslowakei ebenso beteiligt, wie am Überfall auf Polen 1939 – kritisierte aber 1941 den militärischen Dilettantismus Hitlers. Er fürchtete, dass der Krieg nach Hitlers Kriegsführung nicht gewonnen werden konnte. Als er dies erkannte, entschloss er sich im Frühjahr 1944, das Attentat persönlich auszuführen. Es zeigte Stauffenbergs Mut und Entschlossenheit und verdient Anerkennung. Ob er jedoch heute kritiklos als Vorbild dargestellt werden kann, wie dies in Gedenkreden noch immer geschieht, ist doch mehr als zweifelhaft. Aber wenigstens konnte Deutschland nach 1945 auf einen militärischen Widerstand verweisen!

1979: Hammerweg (an der hinteren Karlstraße) (Richard Hammer 1897-1969) war ein hessischer FDP-Politiker. 1924 Arztpraxis in der Karlstraße 95. Von 1939-1945 Truppen- und Chefarzt. Nach 1945 Präsident der Ärztekammer Darmstadt. FDP-MdL 1946-1949), 1949-1957 FDP-MdB. Bereits 20 Tage nach seinem Einzug brachte Hammer, ein ehem. Mitglied der NSDAP-Schlägerbande SA und nun der „Rechtsstaatspartei“ FDP den Antrag Nr. 97 betreffend „Wiederherstellung der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung“ ein, der nichts anderes forderte, als dass „Verfahren der Entnazifizierung im Bundesgebiet mit sofortiger Wirkung beendet wird; …“. Dieser Antrag ist offenbar angenommen worden, denn bereits am 8.11.1949 fragt die FDP mit dem Mitunterzeichner Hammer mittels einer „Interpellation“ nach, wann mit der Vorlage eines Gesetzentwurfes zu rechnen sei. Stadtverordneter 1948-1949. Auszeichnungen: Silbernen Verdienstkreuz der Stadt Darmstadt, Großes Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der BRD. Als Präsident der Darmstädter Ärztekammer hat er die Zulassung des Arztes, Theologen und in der Friedensarbeit Aktiven Dr. Richtzenhain als praktischer Arzt trotz wiederholter Anträge versagt. Erst auf Grund einer Anfrage der KPD-Fraktion im Hess. Landtag wurde dies öffentlich. Die Lizenz wurde Richtzenhain am 12. Mai 1947 erteilt. „Die eingetretene Verzögerung des Entscheides ist auf Anschuldigungen zurückzuführen, die umfangreiche Erhebungen erforderlich machten“ antwortete der damalige Innenminister Zinnkann. Hammer hat auch im Meldebogen falsche Angaben gemacht. So gibt er dort wahrheitswidrig an, in keiner NS-Organisation Mitglied gewesen zu sein. Er bezeichnete sich selbst als „stadtbekannter Antifaschist“. In einem Personalbogen der Nationalsozialisten jedoch war zu lesen, dass seine Abstammung „deutschblütig“ sei, er der „Parteigliederung SA Res. II“ angehörte und „Anwärter seit 16.1.1939“ sei. Verständlich, dass Hammer im Bundestagswahlkampf 1953 mit einem Flugblatt warb, in dem gefordert wurde: „Der Entnazifizierungsrummel ist noch nicht ganz vorüber. Auch Spruchkammer-Akten gehören in den Ofen! Viele Nachkommen der Überlebenden werden noch hundert Jahre lang die männlichste Empfindung entbehren: Politische Begeisterung!“ Und weiter: „Die Wiedererrichtung des Deutschen Reiches mit der Reichshauptstadt Berlin…“. Wenn das mal kein klares Signal an die ganzen ehemaligen braunen Schergen in der Stadt Darmstadt war, die in der Nazi-Zeit eine braune Hochburg war, worauf OB Partsch völlig berechtigt wiederholt hinweist. Aus Anlass seines Todes erschienen Zeitungsartikel und Nachrufe. Für die FDP-Hessen bleibt das Ehrenmitglied der FDP „ein Vorbild eines liberalen Menschen und Politikers“. Der FDP-Kreisverband trauerte „um unseren Ehrenvorsitzender. Er war uns Mentor und Vorbild der Darmstädter Liberalen. Sein aufopferungsvolles Wirken für die Bürger strahlte weit über seine engere Heimat hinaus“. Im von OB Engel und Stadtverordnetenvorsteher Otto Schmitt unterzeichneten Nachruf hieß es u. a. er „hat entschiedenen Anteil daran, nach der Diktatur, dem Terror und dem Chaos des Krieges unserem Staat eine freiheitlich-demokratische Ordnung zu geben. … Die Bürgerschaft wird seiner stets in Dankbarkeit und Anerkennung gedenken.“ Verständlich, dass einem solch „aktiven Demokraten und selbsternannten Antifaschisten“ die Ehrung einer Straßenbenennung nicht genommen werden kann. Im 2006 erschienenen Stadtlexikon Darmstadt wird Hammer unter Ausblendung seiner SA-Mitgliedschaft mit einem längeren Artikel gewürdigt.

1987 AlbinMüllerweg (Nahe des Karlshofs) (Albin Müller 1871-1941). Architekt und Maler. 1906 Darmstädter Künstlerkolonie, 1907 Professor. Ende 1918 wurde er mit Kasimir Edschmid zum Präsidenten des in Darmstadt gegründeten Kunstrats gewählt. 1917 war er mit dem Projekt eines Kriegerfriedhofs und des Boelcke- Denkmals in Dessau befasst. In einem handschriftlichen Schreiben des „Architekt – Professor Albin Müller“ vom 4. August 1940 an den „verehrten Oberbürgermeister“ grüßt er ergeben mit der Nazi-Formel „Heil Hitler“. Am 16. Mai 1943 eröffnete OB Wamboldt auf der Mathildenhöhe „eine Ausstellung, die dem Schaffen des im Oktober 1941 verstorbenen Architekten Albinmüller gewidmet ist“, berichtete die Hess. Landeszeitung. Im Darmstädter Echo vom 13. Dezember 1951 wird an den 80. Geburtstag Müllers erinnert: „Darmstadt war zu Beginn des Jahrhunderts nach der Großmannssucht der Gründerjahre und der Stilverwilderung eines prunkliebenden Historismus mit dem Jugendstil revolutionierend auf den Plan getreten….“. Die Formulierung „Stilverwilderung“ erinnert fatal an die Hetze der Nazis gegen die Darmstädter Theaterpolitik unter Gustav Hartung. Im Darmstädter Echo erinnerte Eva Reinhold-Postina am 9. August 1991 in der Reihe „Darmstädter Architekten“ an Albin Müller, die vielen Kunstwerke, Bauten und Plastiken, wie zum Beispiel das Löwentor, die Brunnenanlage auf der Mathildenhöhe. In keinem der zitierten Artikel nach 1945 wurde sein Verhältnis zum Nationalsozialismus thematisiert. Dies gilt auch für den im Stadtlexikon (2006) von Renate Ulmer verfassten Beitrag über Albinmüller. In seiner Autobiografie bekannte er sich zum Nationalsozialismus: „Das Sehnen des deutschen Volkes nach Errettung aus Schmach und Knechtschaft des verlorenen Krieges ist durch Adolf Hitler zur Erfüllung gekommen. Durch unerhörte Taten hat er – gestützt auf seine N.S.D.A.P. und auf die wiedererrichtete Wehrmacht – Deutschland wieder stark gemacht und das Großdeutsche Reich geschmiedet…. Unter der Regierung Adolf Hitlers erstehen indessen überall im Reich, zugleich mit dem Netz der Autostraßen, große repräsentative Monumentalbauten für Partei und Staat, dazu Kasernen und sonstige Heeresbauten, gewaltige Fabriken, ausgedehnte
Arbeiter- und Bauernsiedlungen.“ Er erwähnt auch seine „langjährige verehrte Freundin“ Mathilde Merck. Wahrlich erinnerungs- und ehrungswürdig!

1981 Edschmidweg (Park Rosenhöhe) (Kasimir Edschmid 1890-1966) gilt als großer Darmstädter Schriftsteller. 1919 Mitbegründer „Darmstädter Sezession“, bis 1921 deren Präsident. 1927 „Georg-Büchner-Preis“ des Volksstaates Hessen. Während des Nationalsozialismus wurde er, so heißt es, mit Schreib-, Rede- und Rundfunkverbot belegt, auch sollen Bücher von ihm verbrannt worden sein. 1949 Vizepräsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Generalsekretär und Ehrenpräsident des PEN-Zentrums. 1955 Großes Bundesverdienstkreuz und 1960 mit Stern. 1960 Ehrenbürger der Stadt Darmstadt; Ehrendoktorwürde (Dr. phil.) Universität Gießen. 1957 Goetheplakette der Stadt Frankfurt. Bei diesen vielen Ehrungen stellt sich die Frage: Kasimir Edschmid, eine Lichtgestalt, die alle diese Ehrungen auch verdient hat? „Für Walter Benjamin stand Edschmid als Symbol für anspruchslose Belanglosigkeit“ lesen wir im Begleitbuch zu einer Ausstellung im Jahr 2009. Seine Reiseberichte enthielten „durchaus rassistische Passagen“ heißt es dort. Über afrikanische Frauen schrieb er: „Sie haben einen stärkeren Geruch als die Tiere. Deshalb legt man beim Jagd-Camping gern um das Zelt eines distinguierten Weißen ein paar Reihen Schwarzer – für alle Möglichkeiten eines Raubtierbesuchs. Selbst die gewaschensten haben einen leichten Affengeruch“. An Hans Grimm, dem Verfasser des von nationalsozialistischer Expansionspolitik handelnden Romans „Volk ohne Raum“ schrieb er am 1.12.1932: „… Ich habe zwei Befürchtungen, dass erstens infolge dieser andauernden geistigen Einstellungen die Nazibewegung zu rasch zusammenbricht und daher nicht dazu kommt, das wirklich Positive und Beschwingte in der Bewegung positiv umzusetzen – und dass zweitens, wenn die Bewegung doch zur Macht kommen sollte, dieses Gut von dritt- und viertklassigen Leuten vertan wird“. In einem weiteren Brief an Grimm schrieb er am 15. Mai 1933 “ Zu meinem Entsetzen sah ich, dass mein Name plötzlich auf einer Liste auftauchte, die zur Säuberung der Bibliotheken vorderhand bestimmt sein soll und infolgedessen ist es auch geschehen, dass in ein paar Städten meine Bücher verbrannt worden sind. Die Scham, der Schmerz und die Enttäuschung, die es mir bereitet hat, mich plötzlich mit der ganzen zersetzenden Literatengesellschaft zusammen zu sehen, gegen welche sich jede Faser in meinem Herzen wehrt, kann ich nicht schildern. Wenn ich mir überlege, was ich seit Jahren von jener Seite her, von Weltbühne und Tagebuch, BT und Voss (d.h. Berliner Tageblatt und Vossische Zeitung, die führenden liberalen Blätter, Anmerkung der Autoren) usw. auszustehen hatte, weil meine Einstellung eben immer positiv für Deutschland war, weil ich nie auch nur die Spur einer marxistischen Bewegung hatte, wenn ich denke, dass ich immer wieder die Welt durchstreift habe von den Einkünften aus meiner Schriftstellerei, um für positive deutsche Dinge eintreten zu können … . Und ich kann nicht mehr atmen, wenn gegen alle Vernunft und gegen alle Gerechtigkeit mein Name mit den Leuten genannt wird, die ich verachtet habe. Man mag mich für einen Juden gehalten haben (ich habe den besten arischen Stammbaum, den man sich denken kann) …“. Er pflegte Kontakte zu höchsten Nazi-Funktionären wie z. B. zum NS-Reichsstatthalter in Wien, Baldur von Schirach. Dazu passt gut, dass er 1947 im Entnazifizierungsverfahren von Henriette von Schirach als Entlastungszeuge auftrat. Ehrengrab auf dem Alten Friedhof. Bleibt die Frage, ob dieser Schriftsteller, der wohl zu einem der größten Opportunisten in der NS-Zeit gezählt werden muss – oder war er gar ein überzeugter Nazi und passte sich nach 1945 nur dem Zeitgeist an – diese ganzen Ehrungen verdient.

1933 Richard-Wagner-Weg(im Komponisternviertel) (Richard Wagner 1813-1883) Komponist. Die Straße im Darmstädter Komponistenviertel hieß ab 1918 „Alfred- Messel-Weg“ und wurde 1933 nach Richard Wagner benannt. Im „Neuen Brockhaus“ von 1942 wurde er als „einer der bedeutendsten Tonsetzer, Dichter und Kulturpolitiker“ bezeichnet. „In seinem Wirken wie in seinen Schriften trat er kämpferisch für eine vom völkischen Wesen her bestimmte neue deutsche Kultur ein“. In der 1850 in der „Neuen Zeitschrift für Musik“ zunächst anonym erschienenen Schrift „Das Judentum in der Musik“ setzte er sich mit dem Beitrag der Juden in der Kunst auseinander und zeichnete ein durchgängig negatives und diskriminierendes Bild von ihnen. Borchmeyer beschreibt ihn als „entschiedenen Gegner der Judenemanzipation … Nicht die Juden sollten emanzipiert werden, sondern vielmehr die Deutschen von der Herrschaft der Juden, für ihn das Synonym für die Herrschaft des Geldes. Im „Abschlussbericht der Kommission zur Überprüfung der Freiburger Straßennamen“ heißt es: „Richard Wagner gehörte sicherlich zu denjenigen, die den Antisemitismus im Bildungsbürgertum hoffähig machten. Nach dessen Tod 1883 wurde Bayreuth denn auch zu einem „geistigen Zentrum“ des rassischen Antisemitismus: Wagners Schwiegersohn, der Engländer Houston Stewart Chamberlain, schuf mit seiner 1899 veröffentlichten Schrift „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“, einen antisemitischen Klassiker, der auch Hitler stark beeinflussen sollte. Bekanntermaßen war Wagner denn auch Hitlers Lieblingskomponist“. Die Kommission in Freiburg empfiehlt daher, die Freiburger „Richard-Wagner-Straße“ nicht umzubenennen, sondern ein Ergänzungsschild mit der Aufschrift: „Richard Wagner (1813-1883) Weltberühmter Komponist 1850 Verfasser des antisemitischen Pamphlets „Über das Judentum in der Musik“ anzubringen. Der Stadt Darmstadt stünde es gut an, dem Darmstädter „Richard-Wagner-Weg“ eine ebensolche Erläuterungstafel anzufügen.

Quellen:
https://dfg-vk-darmstadt.de/Lexikon_Auflage_2/_Uebersicht_Strassen.htm und „Projekt Darmstädter Straßennamen – Biografien erarbeitet von Dr. Holger Köhn, Büro für Erinnerungskultur“, ist im Internet abrufbar.

Halit Yozgat war Betreiber eines Internetcafés in Kassel, Halit Yozgat wurde 21 Jahre alt. Er war das neunte und letzte Todesopfer der NSU-Mordserie, die in den Jahren 2000 bis 2006 in deutschen Großstädten durch die rechtsextreme Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) verübt wurde. Halit Yozgat wurde in seinem Internetcafé im Kasseler Stadtteil Nord-Holland durch zwei gezielte Pistolenschüsse in den Kopf ermordet.
Zur Tatzeit war Andreas Temme, ein Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, anwesend, der zeitweise als Mordverdächtiger galt und festgenommen wurde. Sein Telefon wurde von der Polizei überwacht. Abgehörte Gespräche wurden erst ab 2015 öffentlich bekannt, die Ermittlungen führten bis zur Aufdeckung des NSU im November 2011 ins Leere. Trotz der weiteren Ermittlungen gegen Temme, mehrfacher Vernehmungen als Zeuge im Münchener NSU-Prozess und in verschiedenen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, dem Eintreffen von Yozgats Vater kurz nach der Tat und der sekundengenauen Rekonstruktion des Tathergangs durch die Polizei ist der Anschlag bis heute nicht geklärt.
Nach den 10 NSU Morden wurden immer erst die Angehörigen unter Verdacht gestellt, kriminalisiert. Selbst als das Terrornetz enttarnt wurde, hat man so getan, als sei das Trio alleine mordend durchs Land gezogen. Die Netzwerkwerke und Unterstützer blieben unbeachtet. Akten, wie in Hessen aus dem NSU Untersuchungsausschuss wurden zunächst für 120 Jahre gesperrt, jetzt sind es 30 Jahre – das stinkt zum Himmel, Akten für 5 Generationen zu sperren. Was soll verborgen bleiben? Der heutige Ministerpräsident Bouffier hat als damaliger Innenminister verhindert, dass der Verfassungsschutzmann Temme befragt wurde. Er war zur Zeit der Ermordung von Halit Yozgart im Kasseler Internetcafe. Da wurde gelogen, kleingeredet und vertuscht.
Wenn sich heute Politiker aller Parteien als Kämpfer gegen Rechts gerieren, so ist das in diesem Licht betrachtet, sehr problematisch. Wenn es ernst gemeint sein sollte, muss der Sperrvermerk vom Tisch, müssen die Akten zugänglich sein, muss die Rolle des Verfassungsschutzes geklärt werden, der über V-Leute mit unseren Steuergeldern die Rechte Szene seit Jahrzehnten finanziert, über Jahre geleitet von einem, der mit den Rechten sympathisiert. Dann muss konsequent jede Vernetzung und Unterstützung aufgedeckt werden, auch in der Polizei, in der Bundeswehr, in der Verwaltung, kurz in allen Bereichen. Es ist ein Skandal, dass bis heute nicht ermittelt wurde, wer die Drohbriefe an Seda Basey-Yildiz und andere seit über 2 Jahren verschickt, mit Informationen aus Polizeicomputern.
Seit Jahren erfolgt Aufklärungsarbeit durch Antifagruppen, die kriminalisiert werden, durch NGO’s, nicht durch staatliche Organisationen. So werden offiziellen Zahlen von Rechter Gewalt und Morden mit weniger als 50 beziffert, tatsächlich sind es mehr als 200. Geschieht ein Verbrechen, sind es angeblich Einzeltäter, wird meist der politische Zusammenhang negiert. Das gilt auch für Gewalt gegen Migranten. Selbst Hassbotschaften im Internet werden oft heruntergespielt.
Wenn die Empörung gegen Rechte, die wir seit Bestehen der Bundesrepublik oft schmerzlich vermisst haben, ernst gemeint ist, dann muss gehandelt werden.
Wie kann es sein, dass fast 500 Haftbefehle gegen rechte Gewalttäter nicht vollstreckt werden? Wie kann es sein, dass die Behörden nicht zusammenarbeiten, Akten geschreddert werden. Vorgestern wurde Stefan Ernst, der Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke, zu lebenslanger Haft verurteilt, aber die rechten Netzwerke wurden wieder nicht aufgedeckt, Ernst war seit über 20 Jahren aktiv, hatte auch Kontakt zu NSU. Hat er Yozgarts Cafe ausgespäht? Was ist mit den Akten? Angeblich sind sie nicht vernichtet, dürfen aber nicht verwendet werden. Das muss endlich aufgeklärt werden. Auch dafür fordern wir eine Umbenennung in Halit-Yozgat-Straße.
Alle Bekundungen gegen Rechts, die nach Lübcke, Hanau und Halle, von Seiten der Politik zu hören sind, sollten an deren Handeln gemessen werden. Eine klare Abgrenzung gegenüber der AfD ist richtig, denn sie hat deutlich dazu beigetragen, rechtes Gedankengut, Rassismus und Antisemitismus in die Mitte der Gesellschaft zu tragen und zu einem völlig veränderten politischen Klima in unserem Land geführt.
Das werden wir nicht akzeptieren. Auch dafür steht eine Umbenennung in Halit-Yozgat-Straße.
Darmstadt, 30.1.21

Samstag, 30.01.2021 15:00: Kundgebung  am Gewerkschaftshaus

Noch immer ist die Hindenburgstraße nicht umbenannt.

Seit 2013 immer am 30. Januar, erinnert das Bündnis gegen Rechts in Darmstadt daran, dass die Forderung die Hindenburgstraße in Halit-Yozgat-Straße umbenannt werden soll.

Der Tag wurde gewählt, da an diesem Tag Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannt hat.

Die entsprechende Forderung wird seit Jahren durch verschiedene Aktionen untermauert

Halit Yozgat war gerade 21 Jahre alt, als er im Jahr 2006 in seinem Internetcafe in der Kasseler Innenstadt durch zwei gezielte Pistolenschüsse ermordet wurde. Diese grausame Tat ließ ihn zum neunten Opfer der nationalsozialistischen Terrorzelle werden. Wir wollen aufmerksam machen auf diesen brutalen Mord und vor allem auf das menschenverachtende Gedankengut, welches diese Tat motivierte.

Um ihm als Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds zu gedenken, wollen wir, dass die Hindenburgstraße nach ihm umbenannt wird.

Denn Paul von Hindenburg setzte sich für das Gegenteil unserer demokratischen Grundwerte ein. Er war ein Vertreter des völkischen Nationalismus, des Militarismus,der Kriegstreiberei und er ermöglichte Hitler den finalen Schritt zur Machtergreifung.

Durch Straßennamen wurden schon immer politische Machtverhältnisse demonstriert. Dagegen wollen wir ein Zeichen setzen.

Sa, 30.01.2021 15:00
Am DGB-Haus, Rheinstraße Ecke Hindenburg-Straße

Wir sind auch heute wieder hier, denn trotz eines Votums zur Umbenennung der Hindenburgstraße – und sechs weiterer Straßen in Darmstadt – durch die Straßenbenennungskomission und auch eines entsprechenden Parlamentsbeschlusses im Mai 2019 müssen wir auf den Straßenschildern noch immer Hindenburgstraße lesen.

Heute vor 87 marschierte ein Fackelzug aus Mitglieder der NSDAP durch das Brandenburger Tor um den gerade ernannten neuen Reichskanzler Adolf Hitler zu bejubeln. Was folgte, war das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte: Der 2. Weltkrieg einhergehen mit der industriell organisierten Ermordung von Jüd_innen, Sinti und Roma, Homosexuellen, Asozialen, Behinderten und politischer Gegner_innen. Untrennbar mir der Machtübergabe an die Nationalsozialisten verbunden ist der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg, der Hitler am 30. Januar zum Reichskanzler ernannt hat.

1915 wurde die Straße, an der wir stehen, nach Paul von Hindenburg benannt. Aus heutiger Sicht muss Hindenburg nicht nur wegen seiner Rolle bei der Machtübergabe als Antidemokrat und rechter Reaktionär gesehen werden.

Hindenburg war ein Monarchist, dessen Aufstieg eher auf eine erfolgreiche Vermarktung der eigenen Rolle, insbesondere bei der „Schlacht von Tannenberg“, als auf seine Fähigkeiten zurückzuführen sind. Als Führungsfigur der Obersten Heeresleitung baute er die Befugnisse dieser soweit aus, dass heute nahezu von einer Militärdiktatur gesprochen werden kann. Kriegsverbrechen wie die Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Bootkrieges, der auch Zivilschiffe als Ziel festlegt, zählen zu den Entscheidungen dieser Zeit. Hindenburg war nachweislich Vertreter der Dolchstoßlegende und bediente so ein Narrativ rechter Kräfte. 1925 als Reichspräsident, gewählt besaß er die Macht, Regierungen zu ernennen und den Reichstag aufzulösen. Bereits vor der Ernennung von Hitler war er sich für die Bildung rechtsgerichteter Regierungen, der sogenannten Präsidialkabinette, verantwortlich, die zwar keine demokratische Mehrheit hatten, aber über Notverordnungen Gesetze erließen. Nachdem der Reichstag 1930 diese Notverordnung außer Kraft setzte, wurde dieser von Hindenburg aufgelöst. 1932 wurde er, um Hitler zu verhindern, zwar mit den Stimmen von u.a. der SPD als Reichspräsident wiedergewählt, jedoch schloss der damalige Abgeordnete der NSDAP, Joseph Goebbels, vermutlich relativ treffend, dass Hindenburg „seinem Namen, seiner Vergangenheit und seinen Leistungen nach zu uns [gehört] und nicht zu denen, die heute bereit sind, ihm ihre Stimme zu geben.“

Bereits im Jahr 2000 wurde von dem damaligen Vorsitzenden der jüdische Gemeinde Darmstadt, Moritz Neumann, die Namensgebung der Hindenburgstraße in Frage gestellt.

2002 und 2004 wurden Anträge zur Umbenennung der Hindenburgstraße in der Stadtverantwortlichenversammlung gestellt. 2005 sprach sich die Straßenbenennungskomission einstimmig für die Umbenennung der Hindenburgstraße aus.

Eine durch das Parlament daraufhin durchgeführte Anwohnerbefragung – bewusst keine Bürgerbefragung in der Stadt – votierte negativ und verhinderte die Umbenennung.

Als Oppositionsparteien entdeckten sowohl Grüne als auch SPD (- die SPD nach 50 Jahren -) das Thema Hindenburgstraße wieder für sich. Allerdings fand sich in den letzten 20 Jahren der Diskussion um die Benennung einer der Darmstädter Hauptverkehrsstraße keine der – wechselnden – politischen Mehrheiten bereit, das „Problem Hindenburgstraße“ wirksam anzugehen. Es war ein Trauerspiel. Von einer politischen Erinnerungskultur kann nicht die Rede sein.

Seit 2013 machte das Bündnis gegen Rechts durch verschiedenste Kundgebungen, Veranstaltung und Aktionen darauf aufmerksam, das es an der Zeit ist, die Hindenburgstraße umzubenennen.

Am 30. Januar 2018 beschlossen wir als Bündnis gegen Rechts daher die Sache selbst in die Hand zu nehmen und überklebten die Straßenschilder der Hindenburgstraße mit dem Namenszug Halit-Yozgat-Straße. Benannt nach dem letzten und 10. bekannten Opfer des NSU, Halit Yozgat. Der Name sollte stellvertretend für die damals mindestens 195 Toten durch rechtsextreme Gewalt seit 1990 in Deutschland stehen. Dies bereits mit Blick auf das Anstehende Urteil im NSU-Prozess, in dessen Verlauf der Rassismus deutscher Behörden und die Verstrickungen des Verfassungsschutzes in die rechtsextreme Szene deutlich geworden war, jedoch in der staatlichen Aufarbeitung nahezu ignoriert wurde.

Eine durch eine aufmerksame – oder besorgte – Bürgerin herbeigerufene Polizeistreife nahm die Personalien dreier im BgR aktiven Senior_innen auf. Es fand ein Ermittlungsverfahren wegen Amtsanmaßung undgemeinschädlicher Sachbeschädigung statt, das im August 2019 eingestelltwurde.

Die Aktion und das hieraus resultierende Ermittlungsverfahren waren insofern ein Erfolg, da die Repression für Darmstädter und bundesweite Aufmerksamkeit sorgte und so auch zu dem öffentlichen Druck führte, den längst überfälligen Entschluss zu fassen, die Straße zusammen mit sieben weiteren mit NS-Bezug belasteten Straßen-Namen umzubenennen. Unterstützt darin hat ein durch die Stadt Darmstadt in Auftrag gegeben Untersuchung zu sämtlichen möglicherweise NS-belasteten Straßennamen.

Durch den NSU-Prozess und die NSU-Untersuchungsausschüsse ist es nicht gelungen, das Netzwerk aus Neonazis und Verfassungsschutz aufzudecken. Die Rolle des damaligen Verfassungsschützers Andreas Temme, der bei der Ermordung Halit Yozgats im gleichen Raum des Internet-Cafes anwesend war, ist weiter ungeklärt. Andreas Temme der später in dem Amt unter Walter Lübcke arbeitete, der im letzten Sommer mutmaßlich durch den Neonazi Stephan Ernst erschossen wurde.

Die Benennung nach Halit Yozgat wäre Erinnerung an die Opfer des Neonazismus, Mahnung an den fehlenden Ermittlungs- und Aufklärungswille deutscher Behörden und Anklage an das bestehende Netz aus Verfassungsschutz und Neonazis.

Wir halten an unserer seit 2013 erhoben Forderung der Umbenennung in Halit-Yozgat-Straße aus den genannten Gründen fest.

Nachdem der Magistrat beschlossen hatte, die Hindenburgstraße umzubenennen, können AktivistInnen für die Umbenennung der Straße einen weiteren Erfolg feiern: Das Verfahren gegen drei Personen wegen Amtsanmaßung und Sachbeschädigung wird eingestellt. Sie hatten im Januar 2018 die Straßenschilder der Hindenburgstraße mit dem Schriftzug „Halit-Yozgat-Straße“ überklebt.

Jahrzehntelang störte sich kein Lokalpolitiker Darmstadts an der Benennung einer großen Straße nach demjenigen, der dem Terrorregime der Nazis den „roten Teppich“ ausgelegt hatte. Auch die Sozialdemokraten Darmstadts, die zu den nach den Kommunisten am meisten bedrängten und verfolgten Parteien gehörte und in Darmstadt mit einer großen Mehrheit Jahrzehnte lang regierte, sah keinen Handlungsbedarf. Eine Frage des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Darmstadt, Moritz Neumann, im Vorwort des 2000 erschienen Buches „Von Adelung bis Zwangsarbeit“ „Warum heißt eigentlich die Hindenburgstraße noch immer Hindenburgstraße?“ blieb ohne erkennbare Reaktion der Darmstädter Kommunalpolitik.

Auch als zivilgesellschaftliche Organisationen, zusammen geschlossen im „Bündnis gegen Rechts“ ab den 2000er Jahren regelmäßig mit Demonstrationen Veranstaltungen und anderen Aktionen auf eine Umbenennung der Hindenburgstraße drängten, schlug nur die PDS 2004 vor, die Straße nach dem Darmstädter Widerstandskämpfer und NS-Opfer Arvid Harnack zu benennen. Es folgten zaghafte Erklärungen der Grünen. Die SPD schwieg und die CDU sowieso.

Der weiter anhaltende Druck führte wohl zu einem ersten Schritt zur grundsätzlichen Klärung der Neu-Benennung von Straßen mit Namen belasteter Personen. Am 19. Februar 2013 beschloss die Stadtverordnetenversammlung den Magistrat zu beauftragen, alle Namensgeberinnen und Namensgeber von Darmstädter Straßennamen daraufhin zu überprüfen, ob deren Leben bzw. politische Einstellung sich mit den Werten einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft vereinbaren lässt.

Überzogene Reaktion der Staatsgewalt und Rückzug

Die drei Mitglieder des „Bündnisses gegen Rechts“ hatten, um die Notwendigkeit einer Umbenennung zu unterstreichen, am Vortag der sogenannten „Machtergreifung“ – besser Machtübertragung durch Hindenburg an Adolf Hitler – die Straßenschilder der Hindenburgstraße in einer symbolischen Aktion erneut mit dem Namen „Halit-Yozgat-Strasse“, einem Opfer der rechten Mörderbande NSU, überklebt. Der nächtliche Polizeieinsatz von vier Einsatzwagen und neun (9!!!) PolizeibeamtInnen führte zu einer Feststellung der Personalien und der Ankündigung einer Strafanzeige. Angesichts der allzeit behaupteten Personalknappheit der Polizei ist dies beachtlich. Der Strafvorwurf lautete Amtsanmaßung und Sachbeschädigung. Beides wiesen die drei von der Polizei angetroffenen RentnerInnen mit Entschiedenheit zurück.

Im August 2018 bot die Staatsanwaltschaft von der Erhebung einer öffentlichen Anklage bei Zahlung von jeweils 200 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung abzusehen. Da dies einem Schuldeingeständnis gleichgekommen wäre, wurde das großherzige Angebot abgelehnt. Folglich erhielten die drei Rentner im September 2018 eine Anklageschrift.

Im März 2019 folgte die Ladung zu einer Erkennungsdienstlichen Behandlung, die im Nachhinein Prinzip nur bei vermutlichen Wiederholungstätern angewandt wird. Diesem Kriminalisierungsversuch und eindeutiger Provokation wurde widersprochen.

Im Widerspruchsbescheid des Polizeipräsidiums Südhessen vom Juni 2019 wurde festgestellt, dass ihr Verlangen nach einer ED-Behandlung rechtswidrig gewesen sei. Wenige Wochen später, nachdem die Justiz vor der Frage stand, sich in einer öffentlichen Verhandlung mit diesem Komplex beschäftigen zu müssen, wurde nach Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten durch das Amtsgericht Darmstadt das Strafverfahren auf Kosten der Staatskasse eingestellt.

Auch nachdem der Magistrat beschlossen hat, neben der Hindenburgstraße sieben weitere Straßen umzubenennen, bleiben noch genügend Straßen übrig, die nach NS-Belasteten Personen benannt sind. Zu nennen sind hier die Robert-Cauer-Straße, der Hoetgerweg, der Krolow-Weg und der Max-Ratschow-Weg, für dessen Umbenennung der vom Magistrat bestimmte Beirat zwar mehrheitlich, aber nicht einstimmig votierte.

Auch die nach Karl Esselborn, Richard Hammer, Gerhart Hauptmann, Arnold Krieger, Otto Leydhecker, Albin Müller, Heinz Winfried Sabais, Carl Christoph Schmelzer, Wilhelm Stühlinger, Frank Thiess, Emil Voltz und Heinrich Zernin benannten Wege und Straßen bedürfen einer Umbenennung.

Es war ein ganz dickes Brett, was die Darmstädter Zivilgesellschaft in jahrelanger zäher Arbeit gebohrt hat. Der Fachbeirat Straßenbenennung, zu dem auch Historiker hinzugezogen wurden, sprach sich (erst mal nicht öffentlich) vor einigen Wochen für die Umbenennung der Hindenburgstraße aus. Am 8.5.19 folgte nun eine Mehrheit im Darmstädter Magistrat dieser Empfehlung. Geplant ist die Umbenennung für 2020, allerdings muss die Stadtverordnetenversammlung noch zustimmen, was aber nach dem Votum des Magistrats und der aktuellen Mehrheitsverhältnisse als sicher gilt.

Nach einer Überklebungsaktion von Mitgliedern des Darmstädter Bündnisses gegen Rechts von Schildern der Hindenburgstraße im Januar 2018 bahnte sich das große Finale an im Streit um die Umbenennung dieser Straße. Ein kurzer Überblick über die letzten Ereignisse:

  • Am 30.1.18, zum Jahrestag der Machtergreifung Hitlers, überkleben Aktivist*innen ca. 30 Schilder der Hindenburgstraße mit dem Aufkleber „Halit-Yozgat-Straße“. Die Polizei rückt mit 4 Polizeiautos und neun Polizisten am „Tatort“ an und nahm von drei Personen die Personalien auf.

  • Protest gegen Darmstädter Hindenburgstraße: Drei Senioren überkleben Straßenschild“ (DE vom 30.1.2018) – so berichtet das Darmstädter Echo am folgenden Tag.

  • Vertreter*innen der Stadtverordnetenfraktion der Linken bringen in der Bauausschusssitzung vom 9.5.2018 einen Antrag ein, zu dem Straßenschild der Hindenburgstraße ein Zusatzschild aufstellen zu lassen mit dem Inhalt „Kriegsherr, Reichspräsident und Wegbereiter Hitlers“. Die SPD unterstützt den Antrag, die Vertreter*innen der anderen Parteien stimmen dagegen und fürchteten eine „negative Außenwirkung“.

  • Am 31.1.2019 hängen Darmstädter Aktivist*innen unter die Straßenschilder „Hindenburgstraße“ eine kurze Erklärung: „Steigbügelhalter des Faschismus“.

  • Das Darmstädter Echo widmet am 11.2.2019 eine ganze Seite der Auseinandersetzung um die Umbenennung der Hindenburgstraße mit der Überschrift „Vom Schild gehoben?“

  • 25.3.19: Vorladung der „Drei Rentner“ zur erkennungsdienstlichen Behandlung von der Kriminaldirektion des Polizeipräsidiums Südhessen.

  • Symbolische Umbenennung wird kriminalisiert“, Erklärung der drei Betroffenen und des Bündnisses gegen Rechts am 9.4.2019.

  • Nicht in unserem Namen! Sollen auf Straßenschildern heute noch Menschen gewürdigt werden, die historisch belastet sind? Darüber wird in Städten und Dörfern gestritten. Am meisten über den Mann, der Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte: Paul von Hindenburg.“ (3-seitiges Dossier (!) in der Zeit vom 14.3.2019 mit Bericht und Bild über die Darmstädter Aktion).“

  • Drei Rentner des Nachts auf der Leiter. Die Diskussion zur Umbenennung der Hindenburgstraße in Darmstadt wird schon seit Jahren geführt. Der Leidenschaft der Debatte tut dies aber keinen Abbruch.“ (FAZ vom 26.4.19).

  • Rechtsstreit wegen Hindenburg. Darmstädter Rentner benennen Straße um / Namensänderung wird zum Politikum“ (FR vom 3.5.19).

  • 8.5.19: der Magistrat beschließt die Umbenennung der Hindenburgstraße.

Dieses rasante Finale kommt mit dem aktuellen Magistratsbeschluss nun zum erfreulichen Abschluss. Was aber schon an eine Groteske erinnert, hat eine fast 20-jährige Vorlaufzeit:

  • Bereits im Jahr 2000 stellte der damalige Vorsitzende der Jüdischen  Gemeinde Darmstadt, Moritz Neumann in einem Vorwort zu einem Buch die Frage, warum „eigentlich die Hindenburgstraße noch immer Hindenburgstraße“ heiße.

  • Im Dezember 2002 und 2004 stellte die Stadtverordnetenfraktion PDS/DKP/Offene Liste den Antrag, die Hindenburgstraße umzubenennen. Beide Initiativen wurden abgelehnt.

  • 2005 sprach sich die Straßenbenennungskommission einstimmig für die Umbenennung der Hindenburgstraße aus.

  • Die Stadtregierung hatte jedoch Angst vor ihrer eigenen Courage. Statt die Straße umzubenennen, wurden die Anwohner*innen und die dort ansässigen Unternehmen auf Initiative des Grünen Stadtrats Feuchtinger befragt, ob sie der Umbenennung zustimmen. Wie nicht anders zu erwarten, sprachen sich die übergroße Mehrheit der etwa 150 Befragten gegen die Umbenennung der Straße aus.

  • Noch Anfang 2013 befürworteten die Grünen eine Umbenennung: „Die Geschichte rechtfertigt eine Umbenennung der Straße“, so ihre Fraktionssprecherin Hildegard Förster-Heldmann

  • Im August 2013 – nunmehr in der Opposition – stellte die Darmstädter SPD-Fraktion den Antrag, die Hindenburgstraße umzubenennen.

Seit Kriegsende und insbesondere seit Aufkommen der Diskussion vor etwa 20 Jahren um die Benennung einer Darmstädter Hauptverkehrsstraße nach Hindenburg, fand sich keine der – wechselnden – politischen Mehrheiten bereit, um das „Problem Hindenburgstraße“ wirksam anzugehen. Es war ein Trauerspiel. Von einer politischen Erinnerungskultur kann nicht die Rede sein.

Kann sich nun nach dem neusten Magistratsbeschluss Darmstadt mit Recht und in aller Ruhe Wissenschafts- / Digital- / und Schwarmstadt nennen? Ein alter Oberbürgermeister verbreitete mal diesen Slogan: „Darmstadt – die Stadt im Walde“. Zum Glück steht aber die Darmstädter Zivilgesellschaft nicht im Walde.

Die Umbenennung der Hindenburgstraße ist ein Dauerbrenner in Darmstadt. Schon im Jahr 2005 hatte sich die Straßenbenennungskommission in Darmstadt einstimmig für die Umbenennung der Hindenburgstraße ausgesprochen. Was passierte dann? Die Stadtverwaltung kam auf die glorreiche Idee, die Anwohner – und nur diese – zur Umbenennung zu befragen. Diese sprachen sich mit überwiegender Mehrheit gegen die Umbenennung „ihrer“ Straße aus. „Mit dem Argument, die Beibehaltung des Namens sei praktischer, weil niemand seinen Briefkopf ändern muss, macht man es sich zu einfach“, so kommentierte es der Geschichtsprofessor Eckart Conze.
Noch Anfang 2013 befürworteten auch die Grünen in Darmstadt eine Umbenennung: „Die Geschichte rechtfertigt eine Umbenennung der Straße“, so ihre Fraktionssprecherin Hildegard Förster-Heldmann. Nun mehrheitlich an der Regierung änderten die Grünen ihre Haltung. Die Stadtregierung machte es sich in den nächsten Jahre einfach und reagierte auf die immer wieder erhobene Forderung nach Umbenennung mit dem Verweis auf die „demokratische Entscheidung“ der Anwohner.
Doch geschichtsbewußte Darmstädter*innen und das Bündnis gegen Rechts ließen nicht locker. Aktivist*innen überklebten am 31.1.2018 die Straßenschilder der Hindenburgstraße mit dem Schild „Halit-Yozgat-Straße“ (Halit Yozgat war das neunte Opfer der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) in Kassel). Sie wollten anlässlich dieses Datums an die Machtergreifung der Nationalsozialisten erinnern, die durch die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Hindenburg am 30. Januar 1933 ihren Anfang nahm. Die Antwort der Darmstädter Behörden: Eröffnung eines Verfahrens wegen Sachbeschädigung und „Amtsanmaßung“.
Das Thema Umbenennung der Hindenburgstraße wurde damit in Darmstadts Öffentlichkeit noch präsenter. Die Linken brachten wiederholt einen Antrag zur Umbenennung der Hindenburgstraße in das Stadtparlament ein. Zuletzt forderte die SPD im Januar diesen Jahres eine Umbenennung der Hindenburgstraße in Mirjam-Pressler-Straße (Mirjam Pressler übersetzte die Tagebücher der Anna Frank und schrieb selbst viele Kinder- und Jugendbücher). Sogar das Darmstädter Echo widmete am 11.2.2019 eine ganze Seite der Auseinandersetzung um die Umbenennung der Hindenburgstraße mit der Überschrift „Vom Schild gehoben?“. Es zitierte Oberbürgermeister Partsch mit der Aussage, dass in etwa zwei Monaten die Empfehlungen des Fachbeirats zum Umgang mit den Darmstädter Straßennamen veröffentlicht werde.
Doch am 31.1.2019 wollten die Darmstädter Aktivist*innen nicht länger warten. Diesmal nahmen sie keine „Amtsanmaßung“ vor, sondern hängten unter die Straßenschilder „Hindenburgstraße“ eine kurze Erklärung: „Steigbügelhalter des Faschismus“.

Alles spricht dafür, doch die Stadtregierung traut sich nicht.

Die Hindenburgstraße ist in Darmstadt eine viel befahrene und bedeutende Verkehrsachse und damit jedem Darmstädter bekannt. Mit der Forderung nach Umbenennung geht es dem Bündnis gegen Rechts Darmstadt darum, aufzuhören mit einem unkritischen Geschichtsbewusstsein und einer Auszeichnung – denn nichts anderes bedeutet die Benennung einer großen Straße nach deren Namen – von Personen, die eine fatale Rolle in der deutschen Geschichte gespielt haben. In der letzten Bauausschusssitzung vom 9.5.2018 wurde ein Antrag der Linken nur von der SPD unterstützt, zu dem Straßenschild der Hindenburgstraße ein Zusatzschild aufstellen zu lassen mit dem Inhalt „Kriegsherr, Reichspräsident und Wegbereiter Hitlers“. VertreterInnen von anderen Parteien stimmten dagegen und fürchteten eine „negative Außenwirkung“.

In der nächsten Stadtverordnetenversammlung am 17.5.2018 wird dieser Antrag nochmals eingebracht mit der Ergänzung, einen unabhängigen Fachbeirat einzurichten, der die Namen und NamensgeberInnen der Straßen und Plätze Darmstadts neu betrachtet und bewertet. Die Umbenennung der Hindenburgstraße zusammen mit der Überprüfung der NamensgeberInnen ist längst überfällig. Bereits 2014 ergab eine Anfrage der Linken, dass in Darmstadt noch ca. 180 Straßen und Plätze nach Personen benannt sind, die als „ehemalige hochrangige nationalsozialistische Kriegsverbrecher oder andere Unterstützer totalitärer Systeme“ in Frage kommen.

Das Bündnis gegen Rechts Darmstadt fordert bereits seit Langem eine Umbenennung der Hindenburgstraße. Schon 2005 hatte sich eine Straßenbenennungskommission einstimmig für die Umbenennung der Hindenburgstraße ausgesprochen. Dann hatte aber die Stadtregierung Angst vor ihrer eigenen Courage. Statt die Straße umzubenennen, wurden die Anwohner und die dort ansässigen Unternehmen befragt, ob sie der Umbenennung zustimmen. Wie nicht anders zu erwarten, sprachen sich die etwas über 100 Befragten gegen die Umbenennung der Straße aus. Für dieses Vorgehen wurde die Stadt stark kritisiert, denn die Umbenennung einer Straße betrifft eine ganze Stadt und nicht nur einen Bruchteil der dortigen Anwohner. „Mit dem Argument, die Beibehaltung des Namens sei praktischer, weil niemand seinen Briefkopf ändern muss, macht man es sich zu einfach“, kritisierte Eckart Conze, Professor für Neueste Geschichte an der Universität Marburg dieses Vorgehen.

Noch Anfang 2013 befürworteten die Grünen eine Umbenennung: „Die Geschichte rechtfertigt eine Umbenennung der Straße“, so ihre Fraktionssprecherin Hildegard Förster-Heldmann. Nun mehrheitlich an der Regierung änderten die Grünen ihre Haltung.

Darmstadt nennt sich eine Wissenschaftsstadt und neuerdings auch Digitalstadt. Diese hochfahrenden Begriffe passen nicht zu dem Umgang der Stadt Darmstadt mit ihrer eigenen Geschichte. Seit 1945 hat es keine der Mehrheitsparteien im Darmstädter Stadtparlament geschafft, die Änderung der Namensgebung von Straßen wie der Hindenburgstraße ernsthaft anzugehen und verzichteten damit auf eine nachhaltige Aufarbeitung von Nationalsozialismus und Militarismus. Die Revolte der „68er“, die nun genau 50 Jahre her ist, richtete sich auch gegen die damals immer noch gegenwärtigen Seilschaften der alten Nationalsozialisten und den unkritischen Umgang mit der deutschen Geschichte. Einer „Wissenschaftsstadt“ stünde es gut an, sich intensiv und kritisch mit ihrer eigenen Geschichte, das heißt auch mit der Namensgebung ihrer Straßen und öffentlichen Plätze, auseinanderzusetzen. Die Furcht vor einer „negativen Auswirkung“ von vorzunehmenden Straßennamensänderungen passt eher in die Zeit von vor 1968.

Ehrung für Halit Yozgat

In der Online-Ausgabe des Darmstädter Echos war es am 30.1. der meist gelesene Artikel: „Protest gegen Darmstädter Hindenburgstraße: Drei Senioren überkleben Straßenschild“. Berichtet wird, wie die Polizei am vorherigen Abend drei Personen angetroffen hatte, die die Straßenschilder der Hindenburgstraße mit Folien überklebten, auf denen der Name des NSU-Opfers Halit Yozgat zu lesen war. Halit Yozgat wurde am 6.April 2006 in einem Kasseler Internetcafe vom sog. „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) ermordet.

Dem Polizeieinsatz vorausgegangen war der Anruf eines pflichtbewussten Bürgers. Er meldete, wie Rentner mit einer Leiter durch die Stadt laufen und Straßenschilder überkleben. Auch die Polizei legte in ihrer Pressemitteilung großen Wert darauf, dass es Senioren waren, die die Überklebung vornahmen. Doch scheinen diese besonders gefährlich ausgesehen zu haben. Es wurde nämlich Verstärkung geholt, und schließlich waren vier Polizeiautos mit neun Polizist_innen am „Tatort“. Die Straßenecke der Noch-Hindenburgstraße/Rheinsträße wurde lange Zeit mit den blitzenden Blaulichtern der Polizeiautos erhellt. Es sah aus wie bei einem Schwerverbrechereinsatz.

„Historische Gründe“ erfordern eine Umbenennung

Mit der Aktion sollte der Forderung nach einer Umbenennung der Straße Nachdruck verliehen werden. Paul von Hindenburg, nach dem die Straße benannt ist, hat nämlich am 30. Januar 1933 als Reichspräsident Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt und damit den Weg frei gemacht für die faschistische Diktatur. Dass ein Steigbügelhalter der Nazis nicht mit einem Straßennamen geehrt werden sollte, ist die Meinung vieler Menschen und Organisationen in Darmstadt. Das Bündnis „Darmstadt gegen Rechts“ veranstaltete hierzu schon mehrere Aktionen. Auch im Stadtparlament war die Umbenennung schon Thema. SPD, Linkspartei und UFFBASSE stimmten für die Umbenennung. Es ist zu hoffen, dass die hohe Aufmerksamkeit, welche die Aktion im Darmstädter Echo erfahren hat, dazu genutzt werden kann, die Diskussion um eine Umbenennung neu zu beleben.Der Sprecher der Stadt Darmstadt erklärte im Darmstädter Echo, aus „heutiger Sicht“ sei Hindenburg einer der Wegbereiter der NS-Diktatur gewesen. Heute würde man ihn zwar nicht mehr mit einer Straße ehren, „die Straße bleibt aber aus historischen Gründen so benannt“. Welch eine Verwirrung! Wären es nicht gerade „historische Gründe“, die eine Umbenennung erfordern.

Keine Strafverfolgung !

Das Bündnis „Darmstadt gegen Rechts“ bezeichnet die von der Polizei angedrohten Anzeigen wegen Sachbeschädigung und Amtsanmaßung als völlig überzogen. Das Bündnis fordert von der Stadt, auf eine Strafverfolgung zu verzichten. Hierfür werden auch Unterschriften gesammelt verbunden mit der Forderung nach Umbenennung der Straße.

Material:

Paul von Hindenburg: Referat von Hannes Heer auf der Podiumsdiskussion vom 6. Mai 2014