Das BGR beteiligte sich am 8. Mai an zwei Kundgebungen vor dem 1. Polizeirevier und dem Staatstheater unter dem Titel: “ 75 Jahre sind genug. Entnazifizierung jetzt!“
Hierbei ging es zum einen um die Kontinuitäten von rechten Gedankengut in den Behörden, den aktuellen Gefahr des Rechtsterrorismus und der Notwendigkeit einer antifaschistisch engagierten Gesellschaft.


Wir dokumentieren unseren Redebeitrag, der vor dem 1. Revier gehalten wurde.

„Heute vor 75 Jahren endete der 2. Weltkrieg mit der „bedinungslosen Kapitulation“ von Nazi-Deutschland. Es ist ein Tag an dem wir die Niederlage des deutschen Faschismus feiern. Es ist ein Tag an dem wir den Millionen alliierten Soldat_innen sowie Partisan_innen Gedenken, die für diesen Sieg ihr Leben gaben. Es ist der Tag der symbolisch für das Ende der Jahre von Grausamkeit und Barbarei steht. Es ist für uns ein Feiertag, zu dem sich auch der Bund bekennen muss. Nach ihrer Befreiung schworen die Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald den Kampf erst einzustellen, wenn auch der letzte Täter vor den Richtern der Völker steht. Es war der Schwur gegen eine Gesellschaft die zu großen Teilen aus den Täter_innen des NSRegimes bestand. Die traurige Wahrheit ist Täter_innen wurden meist nie vor Gericht gestellt, geschweige denn verurteilt.

Staatliche Institutionen wie Polizei, Verfassungsschutz und Bundeswehr wurden in der Nachkriegszeit von Menschen aufgebaut, die ähnliche Funktionen bereits in Hitler-Deutschland bekleidet hatten. Täter saßen an den höchsten Stellen und betrieben ein Personalpolitik, die die ihren schützte und in entsprechende Positionen bugsierte. Das LKA NRW musste erst im Dezember letzten Jahres nach einer Untersuchung eingestehen: „Von den sechs ehemaligen LKA-Direktoren müssen die ersten vier Direktoren als Täter des NSUnrechtregimes in der Zeit bis Mai 1945 bezeichnet werden.“ NRW war dabei vermutlich kein Einzelfall.

Vor allem die Zeit sorgte dafür, dass die ehemalige NS-Täter_innen in den deutschen Behörden zunehmend ausdünnten- ohne hier die Aufklärungsarbeit und Kämpfe von Menschen wie Fritz Bauer zu vergessen. Dennoch konnten sie diese lange führend gestalten. Doch ist mit ihnen auch das rechte Gedankengut aus den Dienststellen verschwunden? Wir sagen

Nein!

Während des NSU-Prozesses wurden mit NSU2.0 unterschriebene Drohbriefe an die NSUOpferanwältin Seda Başay-Yıldız gesendet. Ihre Adresse wurde von Polizist_innen abgerufen und an die Täter_innen weitergegeben, wenn nicht die Polizist_innen selbst die Täter_innen waren. Sind die aktuellen Skandale eine neue Entwicklung bei der Polizei?. Ist die Nordkreuz Chatgruppe aus dem Hannibal-Netzwerk, bei dem sich Polizist_innen sowie aktive und ehemalige Soldat_innen auf die Massentötung von als politische Gegnern, inklusive Listen Löschkalk, dem Horten von entwendeter Munition und dem Versuch eines gefakten Terroranschlags eines syrischen Geflüchteten der sich in Wirklichkeit als der rechtsextreme Offizier Franco A. entpuppte neue Phänomene.

Nein!

Die Geschichte der Polizei, Bundeswehr und Verfassungsschutz ist voll von Skandalen und Verstrickungen ins rechte Milieu bis hin zum Rechtsterrorismus. Kürzlich musste das Bundeskriminalamt die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat von 1980 wieder aufnehmen, da maßgebliche Hinweise auf Mittäter_innen und mögliche rechte Netzwerke ignoriert worden waren.

An der Bundeswehr-Ausbildungsstätte dem Heeresflugplatz Altenstadt, machte bereits in den 90er Jahren von sich Reden, da hier u.a. „Führergeburtstage“ begangen wurden. Auffallend viele Mitglieder des Uniter-Netzwerkes stammen von dort. Unter anderen war dort der rechtsextreme AfD-MdL Andreas Kalbitz Ausbilder.

Einzelfälle oder ein systemimmanentes Problem?

Oury Jalloh´s Tod, die rassistisch geführten Ermittlungen und das Versagen um die Morde des NSU, bei denen den Opferfamilien in kriminelle Milieus gedeutet wurden zeigt ein Versagen des Rechtsstaates auf. Das krampfhafte Festhalten an Einzeltäter_innen bei rechtem Terror oder immer wiederkehrende Berichte über Racial Profiling und anderer rassistischer Verhaltensweisen der Beamt_innen sind skandalös und nicht hinzunehmen.

Ein öffentliches Fehleingeständnis findet in der Regel jedoch nicht statt. Bei dem herrschenden Corpsgeist scheint eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Themen in weiter Ferne. Eine Aufarbeitung wird eher sabotiert. So wurden die hessischen NSU Akten zunächst für 120 Jahre gesperrt und der Verfassungsschutz schredderte im Akkord Akten den NSU betreffend. Erst durch den Mord an Walter Lübke wurde diese Frist auf 30 Jahre gesetzt. Nicht zuletzt Aufgrund der Schuld und Verantwortung den Opferangehörigen gegenüber müssen diese Akten sofort freigegeben werden.

Auch den staatlichen Behörden gegenüber gilt die Unschuldsvermutung. So gibt es bei der Polizei auch eine Art gesellschaftlichen Querschnitt bei dem antidemokratisches Denken, Rassismus, Antisemitismus und Sexismus genauso fest verankert sind wie im Rest der Bevölkerung. Dennoch ist festzuhalten, dass für keine Partei im Schnitt so viele Polizist_innen Positionen bekleiden wie in der AfD. Der parlamentarische Arm der deutschen Ordnungskräfte ist überspitzt gesagt eine rechtsgerichtete Partei, die selbst für einen oft mehr als fragwürdig handelnden Verfassungsschutz durch öffentlichen Druck zum Prüffall berufen wurde.

Und selbst wenn die Polizei, den gesellschaftlichen Querschnitt repräsentieren sollte, ist rechtes Gedankengut im Staatsdienst einer Demokratie und dem NS-Nachfolgestaat nicht zu ertragen. Auch 75 Jahre nach Kriegsende müssen wir feststellen, dass von einer erfolgreichen „Entnazifizierung“ noch lange keine Rede sein. Sollte Polizist_innen, doch mal wieder rechter Aktivitäten ihrer Kolleg_innen öffentlich bekannt werden, ist eine bessere Antwort als der wohl meistgeführte aber auch unglaubwürdigsten Satz von damals, „Von nichts gewusst“ zu wünschen. Wir sagen: Wer bei rechten Aktivitäten, Äußerungen etc. seiner Kolleg_innen schweigt und das Handeln nicht hinterfragt macht sich damals wie heute zur Mittäter_in.“

Kundgebung zum 8. Mai am Staatstheater
Zum wiederholten Male stellte Alfred Haag, der Eigentümer des Hotels Contel, seine Räume für Veranstaltungen der AfD zur Verfügung. Er selbst soll schon öfters  Sympathien in diese Richtung geäußert haben. Aus Gewerkschaftskreisen heißt es, er habe auch jeher alle Versuche  in seinem Unternehmen einen Betriebsrat zu gründen im Keim erstickt. Willige Mitarbeiter seien sofort unter Druck gesetzt oder ganz aus dem Unternehmen entfernt worden.

Am Donnerstag Abend lud die AfD zu einer Veranstaltung mit den Bundestagsabgeordneten Mariana Harder-Kühnel (Hessen) und Martin Reichardt (Sachsen-Anhalt) ins Hotel Contel ein. Das Darmstädter Bündnis gegen Rechts (BgR) rief zu einer Protestkundgebung auf.  Im Folgenden dokumentieen wir die Pressemitteilung des Bündnisses.

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Das Bündnis gegen Rechts Darmstadt (BgR) hatte anlässlich des “Familienpolitischen Abends” der AfD im Contel Hotel (Otto-Röhm-Straße 90) mit den beiden Bundestagsabgeordenten Mariana Harder-Kühnel (Hessen) und Martin Reichardt (Sachsen-Anhalt) eine Kundgebung vor dem Veranstaltungsort am gestrigen Donnerstag, den 21.11.19 von 18 – 22 Uhr angemeldet.

Dem Aufruf “Kein Raum der AfD und ihrer menschenverachtenden Politik” folgten trotz des Streiks der Busfahrer_innen der Heag AG in der Spitze knapp 200 Menschen. Tee, Kaffee, Chili sin Carne und ein wenig Musik sorgten bei den Anwesenden für gute Stimmung und einer für die mit 10 Menschen schlecht besuchten AfD-Veranstaltung nicht zu überhörenden Lautstärke. Transparante mit Schriftzügen wie “Nie wieder” und antifaschister Symbolik machten auch vorbeifahrende Autos auf die kritikwürdige Veranstaltung aufmerksam, die sich häufig durch Hupen (zu dem sie per Schilder aufgefordert wurden) mit dem Protest solidarisierten.

Clara Schneider kritisierte in zwei Redebeiträgen Harder-Kühnel für ihre explizite Nähe zum äußerst rechten Flügel der AfD um den Faschisten Bernd Höcke und legte außerdem den Antifeminismus und Rassismus der Bundestagsabgeordneten anhand von Zitaten dar.

Gegen Ende der Kundgebung machte der Kreisverbandsvorsitzende Sascha Loppnow auf sich aufmerksam, in dem er bei der Abreise mit Absicht in eine Gruppe der Kundgebungsteilnehmenden fuhr, die dem Auto nur durch schnelle Reaktion ausweichen konnten. Verletzt wurde dabei zum Glück und nur durch die Geistesgegenwart der Kundgebungsteilnehmer_innen niemand.

Für das BgR war die hohe Beteiligung an der Kundgebung ein Erfolg. Sie bestärkt uns in unserem Engagement, der AfD und anderer Gruppen rechter Gesinnung in Darmstadt keine Räume unkommentiert zu überlassen. Es ist dies auch als Mahnung an diejenigen zu verstehen, die wie das Contel Hotel Örtlichkeiten für rechte Hetze bereitstellen und so einer menschenverachtenden Ideologie erheblich Vorschub leisten.

Bündnis gegen Rechts
22.11.2019

Interview zu einer Studie über den Einfluss der AfD unter Gewerkschaftsmitgliedern

Bei den letzten Wahlen zum Bundestag, zu den Landtagen und zum EU-Parlament hat die rechte AfD zum Teil sehr hohe Gewinne erzielen können. Obwohl die Gewerkschaften eindeutig gegen die Rechtspopulisten Stellung beziehen, war besonders unter männlichen Gewerkschaftsmitgliedern der Zuspruch zur AfD überproportional hoch. An der TU Darmstadt wurde im Fachbereich Soziologie eine Studie erstellt, die nach möglichen Gründen dieses Zusammenhanges fragt. Deren Ergebnisse sind wichtig, um den Aufstieg der AfD verstehen zu können und um Konsequenzen für die Gewerkschaften abzuleiten. Wir befragten hierzu Prof. Ulrich Brinkmann (UB) sowie Maren Hassan-Beik (MHB) und Lukas Zappino (LZ) vom Projektteam.

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Frage: Wie seid Ihr bei eurer Studie vorgegangen? Wer wurde befragt?

MHB: Wir haben engagierte Gewerkschafter*innen in Bildungsseminaren des IG Metall Bezirk Mitte (Hessen, Thüringen, Rheinland-Pfalz) befragt, sowohl in Form von Fragebögen als auch in Interviews.

Die Befragten, größtenteils Gewerkschafter*innen, die an Bildungsseminaren teilnehmen, aber auch betriebliche Funktionär*innen, haben in der Gewerkschaft eine Scharnierfunktion, da sie zwischen dem gewerkschaftlichen Apparat und den Mitgliedern vermitteln. Sie kennen beide Seiten und vor allem die betriebliche Wirklichkeit und relevante Problemlagen im Arbeitsalltag sehr gut.

Frage: Was waren die Themen der Befragung?

UB: Wir haben vermutet, dass rechtes Wahlverhalten in der Arbeiterschaft Ausdruck einer multidimensionalen Krise ist. Wir haben eine kulturelle Krise, in der alte Wertvorstellungen und Rollenverteilungen in Frage gestellt werden, wir haben die Angst vor dem sozialen Abstieg, wie sie von Oliver Nachtwey ausgeführt wurde und eine Krise der Demokratie. Viele Menschen sind nicht „politikverdrossen“, sondern sie sind verdrossen von der aktuellen Politik und ihren Repräsentant*innen. Zu diesen Themenkomplexen haben wir Fragen zusammengestellt und in Interviews versucht, ein tieferes Verständnis für die jeweiligen Einstellungen und Meinungen zu bekommen.

Frage: Könnt ihr bitte die verschiedenen Krisenerscheinungen noch einmal kurz ausführen?

MHB: Die politische Krise ist ausführlich in der der Postdemokratie-These von Colin Crouch beschrieben worden. Crouch beschreibt, dass die westlichen Demokratien zur innerlichen Erosion tendieren. Zwar finden noch demokratische Verfahren wie Wahlen statt, aber soziale Interessen werden den Anforderungen der Märkte untergeordnet. Ursache hierfür ist u.a., dass handlungsfähige Kollektive, die die Interessen der Lohnabhängigen vertreten und durchsetzen können, geschwächt werden. Diese Entwicklung ist gerade auch von den etablierten Parteien mitgetragen worden.

Die sozioökonomische Krise wird erlebt als ökonomische Benachteiligung, in der Entwertung der eigenen Qualifizierung und des Erfahrungswissens. Am eigenen Arbeitsplatz wird die ständige Verdichtung der Arbeit und die anhaltende Verunsicherung durch dauernde Umstrukturierungen erlebt. Die soziale Situation kann nicht auf das aktuelle Einkommen reduziert werden, sondern wichtig ist auch die subjektive Dimension, die Angst vor dem Abstieg und zukünftigen Entwicklungen.

LZ: Die kulturelle Krise entlehnen wir nicht zuletzt der Diagnose der Abstiegsgesellschaft von Oliver Nachtwey.  Kollektive, klassensolidaritätsbasierte Deutungsmuster der aufgezeigten Problematiken schwinden, während die wiederkehrenden sozialen und nicht selten existenziellen Risiken re-individualisiert werden.

Wir betrachten diese Krise als Ausdruck einer Krise des hegemonialen Neoliberalismus. Die skizzierten Krisen kulminieren in Abstiegsangst und dem Gefühl gesellschaftlicher Entwicklung quasi ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Was verloren geht, ist das Gefühl, noch über Einfluss und Kontrolle auf die eigenen Lebensumstände zu verfügen. Hinzu kommt die Erosion des Vertrauens in die politische Lösungsfähigkeit – gerade für diejenigen Befragten, die rechte Tendenzen aufweisen, ist diese Kombination geradezu charakteristisch.

UB: Eigenes Versagen wird heute als individuelles Versagen gesehen, und nicht in Zusammenhang von den Prägungen durch gesellschaftliche Strukturen. In den letzten Jahrzehnten sind die Erfahrungen von Kollektivität verloren gegangen und eine langer Prozess der Erosion von kulturellem Selbstverständnis hat eingesetzt. Und in diese Verunsicherung stößt die AfD hinein: sie macht Deutungsangebote, z. B. wird der Verteilungskampf umgedeutet in einen Kampf zwischen Deutschen und Flüchtlingen..

Frage: Werden diese Krisenerscheinungen von den Befragten unterschiedlich wahrgenommen?

MHB: Die Auswertung der Fragebögen und der Interviews ergab, dass es sehr unterschiedliche Wahrnehmungen der Krisen unter den Befragten gibt. Wir konnten aber drei Gruppen mit ähnlichem Antwortverhalten ausmachen. Dies waren:

Einmal die „Verunsicherten“. Sie haben ausgeprägte Abstiegssorgen, verbunden mit einem enormen politische Vertrauensverlust und eigenen Ohnmachtsgefühlen. Die Perspektive von kollektiven Handlungsmöglichkeiten wird von ihnen nicht gesehen. Hier finden wir auch eine hohe Fremdenfeindlichkeit.

Dann die „Befriedeten“, eine Art Zwischengruppe. Im Unterschied zu den anderen Gruppen üben sie eine geringe Sozialkritik und fühlen eine relative Sicherheit im Kapitalismus. Es sind überwiegend jüngere Kolleg*innen, die noch wenig politischen Handlungsdruck zu verspüren scheinen.

Die „Sozialkritischen“ äußern am meisten Sozialkritik und ein Unbehagen im Kapitalismus. Sie sind eher krisenresistent, äußern weniger Abstiegsängste und sehen sich selbst als politisch handlungsfähig. Fremdenfeindlichen Aussagen erhalten bei ihnen die geringste Zustimmung. Viele dieser Gruppe sind über 55 Jahre alt.

Frage: Was bedeutet das für das Wahlverhalten?

UB: Im Wahlverhalten zeigen diese drei Gruppen eklatante Unterschiede. Während die AfD bei den „Verunsicherten“ auf Werte von etwa 30 % kommt, sind es in den anderen zwei Gruppen lediglich 5 %.

Frage: Nach den Wahlen in Thüringen gab es im Spiegel ein Interview mit Alexander Yendell vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung. Er behauptet, dass wirtschaftliche Benachteiligung nicht den Erfolg der AfD erklären kann. Viel wichtiger sei vielmehr eine grundsätzliche fremdenfeindliche Einstellung.

MHB: Selbstverständlich reichen sozio-ökonomische Determinanten für die Erklärung des Erfolgs der AfD nicht aus. Unsere Befragten nehmen die von uns beschriebenen Krisen sehr komplex und unterschiedlich gewichtet wahr. Uns ging es auch darum, die Entstehung der Deutungsmuster, darunter auch Fremdenfeindlichkeit, zu erklären und auf die gesellschaftliche Situation zurückzuführen.

LZ: Fremdenfeindliche Einstellungen finden sich zunächst einmal auch bei Wähler*innen im mittleren Parteispektrum, das zeigen auch unsere Ergebnisse. Dies verdeutlicht zweierlei: zum einen muss das Problem rechter Tendenzen viel ernster genommen werden, als es in der Öffentlichkeit geschieht. Zum anderen zeigt sich, dass jenseits grundlegender autoritärer Strömungen, wie sie bereits die Studien der Frankfurter Schule nachgewiesen haben, erklärungsbedürftig bleibt, weswegen sich diese aktuell Bahn brechen können. Die Interviews verdeutlichen auch nochmal wie komplex die Thematik ist. Wir sind z.B. teilweise Personen begegnet, die Unbehagen mit einer offenen Grenzpolitik äußern, zugleich aber im Privaten keinen Kontakt mit Geflüchteten scheuen oder diesen auch haben. Die Frage wäre daher, woher das Unbehagen rührt.

UB: Wir haben in unserer Untersuchung festgestellt, dass der Anteil der AfD-Wähler*innen bei den prekär Beschäftigten mit 30 Prozent am höchsten ist, bei den anderen nur 5 Prozent. Da wo die Verunsicherung am größten ist und die Ohnmachtserfahrung vorherrscht, da gewinnt die AfD. Wir haben aber nicht nur Zahlen ermittelt, sondern auch mit den Leuten geredet. Diejenigen, die sagen „das sind alles Rassisten“ sollten für ihre Studien durchaus mal mit den Leuten, also ihrem „Forschungsgegenstand“, reden. Wir haben beides gemacht, Fragebogen ausgewertet und Interviews gemacht. In den Zahlen sehen wir das bestätigt, was wir in den Interviews erfahren haben.

Frage: Was bedeutet das für die Gewerkschaften? Wie könnten sie der Rechtsentwicklung entgegenwirken?

UB: Die Gewerkschaften spielen eine eminent wichtige Rolle. Sie genießen nach wie vor ein berechtigtes großes Vertrauen. Wir wissen, dass ein großer Teil die AfD aus Enttäuschung über die etablierten Parteien wählt, sie sind noch keine Stammwähler, keine überzeugten Rechten. Aber das Fenster schließt sich, und es gibt dringenden Handlungsbedarf. 85 Prozent unserer Befragten wünschen sich eine offensivere und stärker konfliktorientierte Gewerkschaftspolitik. Das müssen sich die Gewerkschaften unbedingt vergegenwärtigen. Nur wenn sie kämpfen, können sie diesen Vertrauensvorschuss behalten. Die Erfahrung kollektiven Handelns ist wichtig, das Gefühl gemeinsam etwas durchsetzen zu können. Nur so kann den Beschäftigten die Ohnmachtserfahrung genommen werden.

Der politische Kampf wird für die Gewerkschaften immer wichtiger. Dazu gehört auch die politische Bildungsarbeit in den Gewerkschaften. Der Begriff des Kapitalismus muss sich wieder angeeignet werden, damit die Menschen ihre betrieblichen Erfahrungen verarbeiten können.

Frage: Wie sollten wir im Betrieb und in den Gewerkschaften mit Kolleg*innen umgehen, die rechtspopulistische Positionen vertreten?

UB: Wichtig ist es, die Etablierung rechter Strukturen in den Betrieben zu verhindern. Wenn die sich erst mal etabliert haben, kriegt man sie nicht mehr einfach hinaus. Aber grundsätzlich ist es ein Fehler, nicht mit denen zu reden, die die AfD wählen. Es ist falsch, sie einfach als Nazis oder Rassisten zu beschimpfen. Dann machen die dicht und hören uns nicht mehr zu. Das sind ja nicht alles Nazis. Das sind Leute, die bei den letzten Wahlen oft noch Linkspartei oder SPD gewählt haben. Das ist das Problem wenn gesagt wird, das seinen alles Rassisten: Dass man mit denen nicht mehr redet. Wir müssen mit denen reden, müssen ihnen zuhören, damit wir auf ihre Argumente eingehen können.

LZ: Das heißt nicht, dass man deren Argumente übernimmt – es geht vielmehr um Aufklärung und um Entkräftung der Argumente. Gerade im betrieblichen Alltag ist das möglich, aber letztlich auch unausweichlich. Es geht darum, Ursachen sozialer Konflikte aufzuzeigen und z.B. durch solidarisches Miteinander und Kampforientierung zu zeigen, dass Veränderungen durch Solidarität möglich sind. Gerade diese Erfahrung inspiriert z.B. viele Auszubildende, die sich antirassistisch äußern. Sicherlich gibt es andererseits auch Personen, die auch mit Argumenten und Aufklärung nicht mehr erreichbar sind – hier hilft nur die sogenannte klare Kante.

U. Brinkmann / M. Hassan-Beik / L.Zappino
18.11.2019

Es war ein ganz dickes Brett, was die Darmstädter Zivilgesellschaft in jahrelanger zäher Arbeit gebohrt hat. Der Fachbeirat Straßenbenennung, zu dem auch Historiker hinzugezogen wurden, sprach sich (erst mal nicht öffentlich) vor einigen Wochen für die Umbenennung der Hindenburgstraße aus. Am 8.5.19 folgte nun eine Mehrheit im Darmstädter Magistrat dieser Empfehlung. Geplant ist die Umbenennung für 2020, allerdings muss die Stadtverordnetenversammlung noch zustimmen, was aber nach dem Votum des Magistrats und der aktuellen Mehrheitsverhältnisse als sicher gilt.

Nach einer Überklebungsaktion von Mitgliedern des Darmstädter Bündnisses gegen Rechts von Schildern der Hindenburgstraße im Januar 2018 bahnte sich das große Finale an im Streit um die Umbenennung dieser Straße. Ein kurzer Überblick über die letzten Ereignisse:

  • Am 30.1.18, zum Jahrestag der Machtergreifung Hitlers, überkleben Aktivist*innen ca. 30 Schilder der Hindenburgstraße mit dem Aufkleber „Halit-Yozgat-Straße“. Die Polizei rückt mit 4 Polizeiautos und neun Polizisten am „Tatort“ an und nahm von drei Personen die Personalien auf.

  • Protest gegen Darmstädter Hindenburgstraße: Drei Senioren überkleben Straßenschild“ (DE vom 30.1.2018) – so berichtet das Darmstädter Echo am folgenden Tag.

  • Vertreter*innen der Stadtverordnetenfraktion der Linken bringen in der Bauausschusssitzung vom 9.5.2018 einen Antrag ein, zu dem Straßenschild der Hindenburgstraße ein Zusatzschild aufstellen zu lassen mit dem Inhalt „Kriegsherr, Reichspräsident und Wegbereiter Hitlers“. Die SPD unterstützt den Antrag, die Vertreter*innen der anderen Parteien stimmen dagegen und fürchteten eine „negative Außenwirkung“.

  • Am 31.1.2019 hängen Darmstädter Aktivist*innen unter die Straßenschilder „Hindenburgstraße“ eine kurze Erklärung: „Steigbügelhalter des Faschismus“.

  • Das Darmstädter Echo widmet am 11.2.2019 eine ganze Seite der Auseinandersetzung um die Umbenennung der Hindenburgstraße mit der Überschrift „Vom Schild gehoben?“

  • 25.3.19: Vorladung der „Drei Rentner“ zur erkennungsdienstlichen Behandlung von der Kriminaldirektion des Polizeipräsidiums Südhessen.

  • Symbolische Umbenennung wird kriminalisiert“, Erklärung der drei Betroffenen und des Bündnisses gegen Rechts am 9.4.2019.

  • Nicht in unserem Namen! Sollen auf Straßenschildern heute noch Menschen gewürdigt werden, die historisch belastet sind? Darüber wird in Städten und Dörfern gestritten. Am meisten über den Mann, der Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte: Paul von Hindenburg.“ (3-seitiges Dossier (!) in der Zeit vom 14.3.2019 mit Bericht und Bild über die Darmstädter Aktion).“

  • Drei Rentner des Nachts auf der Leiter. Die Diskussion zur Umbenennung der Hindenburgstraße in Darmstadt wird schon seit Jahren geführt. Der Leidenschaft der Debatte tut dies aber keinen Abbruch.“ (FAZ vom 26.4.19).

  • Rechtsstreit wegen Hindenburg. Darmstädter Rentner benennen Straße um / Namensänderung wird zum Politikum“ (FR vom 3.5.19).

  • 8.5.19: der Magistrat beschließt die Umbenennung der Hindenburgstraße.

Dieses rasante Finale kommt mit dem aktuellen Magistratsbeschluss nun zum erfreulichen Abschluss. Was aber schon an eine Groteske erinnert, hat eine fast 20-jährige Vorlaufzeit:

  • Bereits im Jahr 2000 stellte der damalige Vorsitzende der Jüdischen  Gemeinde Darmstadt, Moritz Neumann in einem Vorwort zu einem Buch die Frage, warum „eigentlich die Hindenburgstraße noch immer Hindenburgstraße“ heiße.

  • Im Dezember 2002 und 2004 stellte die Stadtverordnetenfraktion PDS/DKP/Offene Liste den Antrag, die Hindenburgstraße umzubenennen. Beide Initiativen wurden abgelehnt.

  • 2005 sprach sich die Straßenbenennungskommission einstimmig für die Umbenennung der Hindenburgstraße aus.

  • Die Stadtregierung hatte jedoch Angst vor ihrer eigenen Courage. Statt die Straße umzubenennen, wurden die Anwohner*innen und die dort ansässigen Unternehmen auf Initiative des Grünen Stadtrats Feuchtinger befragt, ob sie der Umbenennung zustimmen. Wie nicht anders zu erwarten, sprachen sich die übergroße Mehrheit der etwa 150 Befragten gegen die Umbenennung der Straße aus.

  • Noch Anfang 2013 befürworteten die Grünen eine Umbenennung: „Die Geschichte rechtfertigt eine Umbenennung der Straße“, so ihre Fraktionssprecherin Hildegard Förster-Heldmann

  • Im August 2013 – nunmehr in der Opposition – stellte die Darmstädter SPD-Fraktion den Antrag, die Hindenburgstraße umzubenennen.

Seit Kriegsende und insbesondere seit Aufkommen der Diskussion vor etwa 20 Jahren um die Benennung einer Darmstädter Hauptverkehrsstraße nach Hindenburg, fand sich keine der – wechselnden – politischen Mehrheiten bereit, um das „Problem Hindenburgstraße“ wirksam anzugehen. Es war ein Trauerspiel. Von einer politischen Erinnerungskultur kann nicht die Rede sein.

Kann sich nun nach dem neusten Magistratsbeschluss Darmstadt mit Recht und in aller Ruhe Wissenschafts- / Digital- / und Schwarmstadt nennen? Ein alter Oberbürgermeister verbreitete mal diesen Slogan: „Darmstadt – die Stadt im Walde“. Zum Glück steht aber die Darmstädter Zivilgesellschaft nicht im Walde.

MICHELSTADT / ODENWALDKREIS. Das Bündnis „Odenwald gegen Rechts – bunt statt braun“ und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) im Odenwaldkreis verurteilen auf das Schärfste die erneute Hakenkreuzschmiererei an der Michelstädter Synagoge. Da hierbei auch von einem möglichen „Dummen-Jungen-Streich“ die Rede ist, fragt Irmhild Rittmeyer, die Sprecherin des Bündnisses „Odenwald gegen Rechts“: „Was müssen Täter noch auf Synagogen schmieren, wenn ein durchgestrichener Davidstern in Kombination mit einem Hakenkreuz nicht ausreichen, ihre faschistische Gesinnung und ihren Antisemitismus zum Ausdruck zu bringen?“.

DGB Kreisvorsitzender Harald Staier (Höchst) und DGB Regionssekretär Horst Raupp (Darmstadt) stellen fest: „Der oder die Täter haben die Nazi-Schmiererei wie üblich im Schutz der Nacht verübt. Zur braunen Gesinnung kommt die übliche Feigheit hinzu. Offensichtlich scheut man hier aus gutem Grund das Licht des Tages“. Die Gewerkschafter betonen: „Wer nach dem Holocaust an den europäischen Jüdinnen und Juden und der industriell betriebenen Ermordung von Millionen Menschen in den Vernichtungslagern der Nazi-Diktatur immer noch Hakenkreuze schmiert, zeigt, dass er aus der Geschichte nichts gelernt hat. Der Angriff auf die Synagoge ist ein Angriff auf die Demokratie und auf alle Bürgerinnen und Bürger. Für Nazis und Antisemiten mit ihrer verbrecherischen und menschenverachtenden und menschenvernichtenden Ideologie ist im Odenwald kein Platz. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“.

Der DGB und Odenwald gegen Rechts fordern: „Der oder die Straftäter müssen zügig ermittelt und mit aller Härte des Gesetzes zur Rechenschaft gezogen werden“. Es müsse ein klares und deutliches Signal gesetzt werden: „Nazi-Propaganda wird im Odenwald nicht geduldet“.

11.04.2019

 

Erkennungsdienstliche Behandlung der Aktivist*innen

Am 30. Januar 2018, dem Jahrestag der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch Hindenburg, überklebten einige Aktivist*innen die Straßenschilder der Hindenburgstraße. Es war eine symbolische Aktion für die Umbenennung der Straße, da  ihrer Meinung nach der Steigbügelhalter Hitlers nicht mit einem Straßennamen geehrt werden sollte. Völlig unangemessen scheint in diesem Zusammenhang die Reaktion der Staatsanwaltschaft. Gegen die drei Personen, die bei der Aktion von der Polizei angetroffen wurden, wurde Anklage wegen Sachbeschädigung und Amtsanmaßung erhoben. Und jetzt sollen sie sich auch noch einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterziehen. Die drei Betroffenen haben einen Offenen Brief verfasst, in dem sie zu dieser Aufforderung  Stellung nehmen.

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Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde,

im Rahmen einer politischen Aktion haben wir mit anderen zivilgesellschaftlich engagierten Menschen am 29. Januar 2018 die Darmstädter Hindenburgstraße symbolisch (durch das Überkleben des Straßenschildes mit einem anderen Straßennamen: Halit-Yozgat-Strasse) umbenannt.

Durch eine aufmerksame Bürgerin erfuhr hiervon die Polizei, die uns und die Leiter am letzten zu beklebenden Straßenschild angetroffen hat.

Im Ermittlungsverfahren gegen uns, bot die Staatsanwaltschaft an, das Verfahren wegen geringer Schuld einzustellen, gegen die Auflage, dass wir jeweils 200,00 Euro zahlen.

Dies haben wir abgelehnt.

Das Ergebnis ist eine Anklage wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung und Amtsanmaßung und somit ist damit zu rechnen, dass demnächst eine öffentliche Verhandlung auf uns zukommt.

Der beigefügte Artikel in der Wochenzeitung Die Zeit hat sich dieser Aktion und der Frage, ist die Hindenburgstraße in der heutigen Zeit endlich umzubenennen, angenommen und am 14. März ausführlich darüber berichtet.

Viele von Ihnen/Euch werden den Artikel gelesen haben, dennoch füge ich ihn als pdf an.

Wir schreibe Ihnen/Euch heute, weil sich nun etwas ereignet hat, was uns sehr betroffen macht:

die Darmstädter Polizei will uns jetzt einer Erkennungsdienstlichen Behandlung unterziehen, weil *“damit zu rechnen ist, dass Sie (wir) auch in der Zukunft in polizeiliche Ermittlungen einzubeziehen sein werden.“*

Dies betrachten wir als eine nicht hinzunehmenden Versuch der Kriminalisierung und haben dagegen Widerspruch eingelegt.

Über den weiteren Vorgang würden wir Sie/Euch gerne auf dem Laufenden halten.

Mit freundlichen Grüßen

Renate Dreesen, Peter Friedl, Angelika Schröder

09.04.2019

Die Umbenennung der Hindenburgstraße ist ein Dauerbrenner in Darmstadt. Schon im Jahr 2005 hatte sich die Straßenbenennungskommission in Darmstadt einstimmig für die Umbenennung der Hindenburgstraße ausgesprochen. Was passierte dann? Die Stadtverwaltung kam auf die glorreiche Idee, die Anwohner – und nur diese – zur Umbenennung zu befragen. Diese sprachen sich mit überwiegender Mehrheit gegen die Umbenennung „ihrer“ Straße aus. „Mit dem Argument, die Beibehaltung des Namens sei praktischer, weil niemand seinen Briefkopf ändern muss, macht man es sich zu einfach“, so kommentierte es der Geschichtsprofessor Eckart Conze.
Noch Anfang 2013 befürworteten auch die Grünen in Darmstadt eine Umbenennung: „Die Geschichte rechtfertigt eine Umbenennung der Straße“, so ihre Fraktionssprecherin Hildegard Förster-Heldmann. Nun mehrheitlich an der Regierung änderten die Grünen ihre Haltung. Die Stadtregierung machte es sich in den nächsten Jahre einfach und reagierte auf die immer wieder erhobene Forderung nach Umbenennung mit dem Verweis auf die „demokratische Entscheidung“ der Anwohner.
Doch geschichtsbewußte Darmstädter*innen und das Bündnis gegen Rechts ließen nicht locker. Aktivist*innen überklebten am 31.1.2018 die Straßenschilder der Hindenburgstraße mit dem Schild „Halit-Yozgat-Straße“ (Halit Yozgat war das neunte Opfer der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) in Kassel). Sie wollten anlässlich dieses Datums an die Machtergreifung der Nationalsozialisten erinnern, die durch die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Hindenburg am 30. Januar 1933 ihren Anfang nahm. Die Antwort der Darmstädter Behörden: Eröffnung eines Verfahrens wegen Sachbeschädigung und „Amtsanmaßung“.
Das Thema Umbenennung der Hindenburgstraße wurde damit in Darmstadts Öffentlichkeit noch präsenter. Die Linken brachten wiederholt einen Antrag zur Umbenennung der Hindenburgstraße in das Stadtparlament ein. Zuletzt forderte die SPD im Januar diesen Jahres eine Umbenennung der Hindenburgstraße in Mirjam-Pressler-Straße (Mirjam Pressler übersetzte die Tagebücher der Anna Frank und schrieb selbst viele Kinder- und Jugendbücher). Sogar das Darmstädter Echo widmete am 11.2.2019 eine ganze Seite der Auseinandersetzung um die Umbenennung der Hindenburgstraße mit der Überschrift „Vom Schild gehoben?“. Es zitierte Oberbürgermeister Partsch mit der Aussage, dass in etwa zwei Monaten die Empfehlungen des Fachbeirats zum Umgang mit den Darmstädter Straßennamen veröffentlicht werde.
Doch am 31.1.2019 wollten die Darmstädter Aktivist*innen nicht länger warten. Diesmal nahmen sie keine „Amtsanmaßung“ vor, sondern hängten unter die Straßenschilder „Hindenburgstraße“ eine kurze Erklärung: „Steigbügelhalter des Faschismus“.

Sehr geehrte Damen und Herren,

bisher war die Katholische Hochschulgemeinde (KHG) Darmstadt nicht dafür bekannt, dass sie rechte Strömungen in der Gesellschaft unterstützt. Die letzte Veranstaltungsreihe „Medien – die 4. Gewalt, Medien und der Kampf um die öffentliche Meinung“ weisen aber auf eine starke Annäherung an Positionen der äußersten rechten Ecke hin. Zwar heißt es noch in dem Programm zu der Veranstaltungsreihe, „es ist anspruchsvoll geworden, Wahrheit von Halbwahrheit oder Manipulation zu unterscheiden,“ doch zwei von den insgesamt drei Referenten der Veranstaltungen der KHG arbeiten genau mit diesen Halbwahrheiten und Manipulationen.

Der am 28.11.2018 eingeladene Referent, Jürgen Liminski, schreibt regelmäßig für die „Junge Freiheit“, die sogar der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg als  „Scharnier zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus“ beschrieb. Liminski ist in diversen Zirkeln des rechten Katholizismus tätig und tritt auch als Referent bei Veranstaltungen der AfD auf. Er ist Mitglied bei Opus Dei, einer am rechten Rand der katholischen Kirche angesiedelten Institution. Im Rahmen der Vereinigung „Demo für alle“ agitierte er gegen eine Öffnung der Lehrpläne zum Thema sexuelle Vielfalt, da dies zur „Verunsicherung der Kinder“ führe und „vor allem Pädophilen“ nütze. Die Ehe für alle solle gekippt werden.

Noch krassere Positionen vertritt der am 14.11.2018 vor der KHG referierende Matthias Matussek. Er erklärte im März diesen Jahres in einer Rede auf einer Veranstaltung der AfD in Hamburg: “Und wir versammeln uns unter der Parole ‚Merkel muss weg‘, weil sie diejenige ist, die diesen Zustand des permanenten und andauernden Verfassungsbruchs zu verschulden hat. (…) Seither fluten über zwei Millionen junge muslimische Bodybuilder das Land, die sich an den Tafeln im Nahkampf gegen die Rentnerinnen und Bedürftigen und armen Deutschen – die gibt es tatsächlich, ihr da oben – bestens bewähren.“

Wohlgemerkt: eben dieser Matussek wird laut Programm der KHG Darmstadt eingeladen als „Experte“ und „kompetenter Referent“. Was treibt die KHG Darmstadt dazu? Ist es Absicht, dass rechtsreaktionäres Gedankengut salonfähig gemacht wird, dass die Vertreter von rassistischen Ideologien zu „Experten“ gemacht werden, dass die Grenzen des Sagbaren immer weiter verschoben werden?

Wenn sich die KHG Darmstadt nicht eindeutig von den Aussagen der Referenten vom rechten Rand distanziert, müssen wir davon ausgehen, dass die KHG Darmstadt genau weiß was sie tut: sie verschiebt den gesellschaftlichen Diskurs nach rechts und macht Rechtsradikale salonfähig.

Wir erwarten von der KHG Darmstadt eine Antwort auf unseren offenen Brief und insbesondere zu der Frage, ob sie nach wie vor dazu steht, dass die zwei Referenten Matussek und Liminski für sie wichtige „Experten“ für Medien und für den „Kampf für die öffentliche Meinung“ (s. Einladungstext) darstellen.

Bündnis gegen Rechts Darmstadt

E. Schleitzer

 

Anhang: Dokumentation

Rede von Matthias Matussek auf der Veranstaltung der AfD in Hamburg am 19.03.2018:

„Und wir versammeln uns unter der Parole „Merkel muss weg“, weil sie diejenige ist, die diesen Zustand des permanenten und andauernden Verfassungsbruchs zu verschulden hat. (…)
Seither fluten über zwei Millionen junge muslimische Bodybuilder das Land, die sich an den Tafeln im Nahkampf gegen die Rentnerinnen und Bedürftigen und armen Deutschen – die gibt es tatsächlich, ihr da oben – bestens bewähren. (..)
Unsere Kultur ist christlich geprägt. Wir sind Ebenbilder Gottes, egal ob Mann oder Frau oder Kind, oder auch ungeborenes Kind. Unsere Bildung ist christlich, christlich sind unsere gotischen Dome – Minarette sind nicht darunter. Unsere Wissenschaften, zunächst an christlichen Klöstern, dann an unsere Universitäten weiterentwickelt, unsere Entdeckungen und Patente sprießen aus dieser christlichen Grundlage – von einer muslimischen Erfindergeneration habe ich noch nie gehört. Was die erfunden haben, haben sie gefunden: Öl. Und davon kaufen sie sich zusammen, was sie brauchen, Waffen, Regierungen, Kunst, Technologie.„ www.matthias-matussek.de/wp-content/uploads/2018/03/Rede_19-03-2018_matussek.pdf

Bericht eines Besuchers der Veranstaltung der KHG Darmstadt mit Jürgen Liminsksi am 28.11.2018:

„Im Vortrag Liminskis ging es im Großen und Ganzen um Medienschelte, wie sie auch von AfD und Pegida betrieben wird.  Als akademisch gebildeter Rechter will er sich aber scheinbar nicht offensichtlich mit dem rechten Pöbel gemein machen und möchte in diesem Zusammenhang statt von „Lügenpresse“ lieber von „Lückenpresse“ reden. In den Printmedien und in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten würden nicht genehme Fakten ausgelassen, verzerrt oder übertrieben dargestellt, um der Bevölkerung ein rot-grünes Weltbild zu vermitteln. Fast Zweidrittel der deutschen Journalisten tendierten zur SPD oder zu den Grünen und stünden damit „links(!) der Mitte“. Links ist für ihn also alles was nicht CDU oder AfD ist. So würden Statistiken über Lebensgemeinschaften falsch interpretiert, um die traditionelle Familie als Auslaufmodell darzustellen. Auch die Rolle der Medien bei der Absetzung des Verfassungsschutzchefs Maßen kommentierte er kritisch, da hier mit dem Begriff der „Hetzjagd“ Stimmung gegen Maßen gemacht wurde.
Der Vortrag war wenig überraschend für Leute, die sich mit den Positionen des Referenten befasst hatten. Überraschend war jedoch das Verhalten der KHG-Verantwortlichen und der anwesenden Mitglieder. Weder in der Einleitung noch im Schlusswort ließ die Diskussionsleiterin den Hauch eines Zweifels an der Kompetenz Liminskis aufkommen, führte viele Presseorgane an, für die er schon arbeitete, ignorierte aber seine regelmäßigen Texte in der „Jungen Freiheit“. Von Distanz gab es keine Spur. Auch in den anschließenden Fragen und Diskussionsbeiträgen wurden die politischen Positionen Liminskis nicht hinterfragt, an seiner Autorität als Journalist wurde nicht gezweifelt.“
www.politnetz-darmstadt.de/node/25441

Erfolgreiche Aktion gegen Kriegsverklärung am Volkstrauertag

Das Leibgardisten-Denkmal ist unter diesem Namen nur wenigen in Darmstadt bekannt, gehen doch viele BürgerInnen an dem Löwen mit dem Pfeil in der Brust am Friedensplatz vor dem Schloss achtlos vorbei und wissen nicht um die Bedeutung des Denkmals. In den letzten Jahren legten am Volkstrauertag Vertreter der Bundeswehr, Teilnehmer von Traditionsverbänden in Uniformen aus dem 19. Jahrhundert und aus dem 1. Weltkrieg Kränze an dem Denkmal nieder und beklagten in Reden die mangelnde Traditionspflege bei der Bundeswehr.

Im letzten Jahr gab es die ersten Proteste von Friedensgruppen und dem Bündnis gegen Rechts gegen diese Art von Traditionspflege. Das hatte anscheinend gewirkt. Dieses Jahr war die Zahl der Protestierenden deutlich höher. Über 30 Aktivisten versammelten sich frühzeitig unter einem Transparent „Wir gedenken der Opfer der Wehrmachtsverbrechen“ vor dem Denkmal und statt der Heldengedenkreden informierten RednerInnen über den Charakter des Denkmals und die Greueltaten der Wehrmacht. Verlesen wurde der Armeebefehl für die 6. Armee, mit aller Gewalt gegen die Partisanen und gegen die Zivilbevölkerung vorzugehen.

Und das übliche Gedenken der militaristischen Traditionsverbände? Anders als in den letzten Jahren ließ sich nur ein Bundeswehrvertreter in Uniform blicken, umkreiste in großer Entfernung den Protest und sagte anscheinend seinen sinnverwandten Kameraden Bescheid, so dass sich keiner blicken ließ und die übliche geschichtsverklärende Veranstaltung abgeblasen wurde. Die antimilitaristischen Aktivisten freuten sich über ihren Erfolg und versprachen, im nächsten Jahr wieder zu kommen.

Zur Geschichte des Denkmals:

1928 wurde das Denkmal enthüllt und es sollte dem „Leibgarderegiment und seinen tapferen Söhnen“ gedenken. Nach dem 2. Weltkrieg wurden Zusätze eingemeiselt, die den Angriffskrieg von Hitler-Deutschland verfälschten und verklärten und aus dem systematischen Morden an der Zivilbevölkerung und dem Raubkrieg weiterhin heldenhafte Taten machten.

So heißt die Inschrift in der Schlossgrabenmauer: „In Ehren der im Weltkrieg 1939 -1945 Gefallen der aus dem Inf(anterie) Rgt (Regiment) 115 hervorgegangenen Einheiten Inf. Rgt. 226 (und) Inf. Rgt: 485“. Die Infanterieregimenter 115 und 226 waren Teil der 6. Armee, die Russland überfiel. Die Namen der Schlachtfelder Stalingrad, Kiew, Smolensk, Minsk und weitere sind in die Mauer eingemeiselt. Wie die deutschen Wehrmachtstruppen gegen die Zivilbevölkerung vorgingen, zeigt folgender Armeebefehl des Oberbefehlshaber der 6. Armee vom 9. November 1941:

Oberst Sinz wurde in der Nacht vom 5. zum 6. 11. 41 mit 2 braven Pionieren seines Regimentsstabes nach tapferer Gegenwehr von einer Partisanenbande ermordet. Andere Partisanengruppen ermordeten 5 Männer der Organisation Todt und verübten eine Reihe weiterer Untaten.

Soldaten der 6. Armee! Ihr habt alle als Rächer anzutreten zum organisierten Kampf gegen die gewissenlosen Mordbestien! Zweierlei ist dazu nötig. Einmal müßt ihr eure Sorglosigkeit in diesem heimtückischen Lande aufgeben, und zweitens müßt ihr Mittel zur Vernichtung dieser Mörder anwenden, die weder unserer Art entsprechen, noch jemals von deutschen Soldaten gegen eine feindliche Bevölkerung angewendet worden sind.

Dazu befehle ich:

1.) Alle ergriffenen Partisanen beiderlei Geschlechts in Uniform oder Zivil sind öffentlich aufzuhängen. Jede Widersetzlichkeit bei der Vernehmung oder während des Transportes ist durch härteste Mittel zu brechen.

2.) Alle Dörfer und Gehöfte, in denen Partisanen beherbergt oder verpflegt wurden, sind durch Einziehen der Lebensmittel, Abbrennen der Häuser, Erschießen von Geiseln und Aufhängen der Mitschuldigen zur Rechenschaft zu ziehen, wenn nicht einwandfrei nachgewiesen wird, daß die Bevölkerung sich selbst gegen die Partisanen gewehrt und dabei Verluste erlitten hat.

Plakate, die der Bevölkerung diese Maßnahmen androhen, werden demnächst verteilt. Trotzdem ist schon jetzt entsprechend zu verfahren und der Bevölkerung dies bekanntzugeben. Die Furcht vor unseren Vergeltungsmaßnahmen muß bei der Bevölkerung größer sein als die vor den Partisanen.“

Die unmenschliche Sprache und die mörderischen Befehle machen heute fassungslos. Es ist höchste Zeit das Denkmal mit der verfälschenden Kriegserinnerung mindestens mit einer deutlichen Zusatztafel zu versehen, die auf den wirklichen Charakter des Krieges hinweist.

Das „Bündnis gegen Rechts Darmstadt“ hat heute, den 13. Oktober 2018, im Rahmen des dezentralen Aktionstages der Kampagne „Keine AfD in den Landtag“ mit einem „mobilen“ Infostand über die wahren Absichten der AfD-Hessen im hessischen Landtagswahlkampf informiert.

An verschiedenen Standorten in der Darmstädter Innenstadt wurden Positionen aus dem AfD-Wahlprogramm zitiert und deren tatsächliche Bedeutung erklärt. Ziel war es, die Menschen über die Absichten der AfD aufzuklären.

An diversen Themen wurde deutlich gezeigt, dass die AfD neben ihren fremdenfeindlichen und ausgrenzenden Absichten, auch eine klar neoliberale Ausrichtung propagiert. „Privat geht vor Staat“ ist das Motto. Zusammenfassend kann man konstatieren: „Die AfD ist nicht nur rassistisch, sondern auch unsozial!“

Auch das Darmstädter Echo hat über unsere Aktion am 15.10.2018 berichtet. Zum Artikel