Presseerklärung des Bündnis gegen Rechts Darmstadt vom 25.07.20

Seit April gibt es auch in Darmstadt regelmäßige Demonstrationen gegen die mit der Corona-Pandemie begründeten Einschränkungen im täglichen Leben. Trotz der mittlerweile weitgehenden Lockerungen ruft die Initiative „querdenken-615“ noch immer zu den Protesten auf. Diese Gruppierung behauptet, gegen die „Beschneidung der Grundrechte“ und für die „Verteidigung des Grundgesetzes“ einzutreten. Vielfach wurde schon darauf hingewiesen, dass sich bei diesen Veranstaltungen viele rechtsextremistische Elemente tummeln und auch den Ton angeben.


Diese Einschätzung wurde am 12.Juli 2020 in Darmstadt erneut bestätigt: Ein Fahrradcorso fuhr durch das Martinsviertel zum Friedensplatz, dem Ort der Kundgebung. Vor einem Cafe im Martinsviertel wurde von einem Teilnehmer der demonstrativ der Hitler-Gruß mit dem Ausruf „Sieg-Heil“ gezeigt, als einige Cafe- Besucherinnen lautstark kritische Bemerkungen in Richtung der Demonstration machten. Hierfür gibt es viele Zeug_innen. Von anderen Teilnehmerinnen der Demonstration wurde keine negative Reaktion vernommen. Der Versuch, die die Demonstration begleitenden Beamten der Stadtpolizei auf den Rechtsverstoß (§ 86 a Strafgesetzbuch) aufmerksam zu machen, scheiterte zunächst. Erst eine erneute Intervention der Zeug_innen auf dem Friedensplatz konnte der den Hitler-Gruß zeigende Demonstrationsteilnehmer in Anwesenheit der Polizei identifiziert werden. Dabei zeigte sich die Polizei nicht gerade kooperativ und, so der Eindruck, hatte eher das Interesse, die Sache herunter zu spielen. Die Demonstration sei nicht dem rechten Spektrum zuzuordnen, und der angesprochene Polizist sah nicht ein, hier wegen eines Hitlergrußes und eines „Sieg Heil“-Rufes zu ermitteln. Da der Mann die Tat erst einmal abgestritten hatte, stehe ja „Aussage gegen Aussage“. Zeug_innen aus dem Cafe sagten den Polizistinnen, dass ein weiterer anwesender Demonstrationsteilnehmer die ganze Zeit Aufnahmen von der Demonstration gemacht habe und bestimmt auch den Vorfall gefilmt habe. Dieser wollte aber die Aufnahmen nicht zeigen. Die Polizistinnen teilten ihm mit, dass er dann mit zur Wache müsse. Da der Mann mit dem „Deutschen Gruß“ dies seinem Kameraden nicht antun wollte, machte er nach Rücksprache mit einem Polizisten den Zeug_innen aus dem Cafe ein Angebot: Sie sollten auf eine Anzeige verzichten und er wolle im Gegenzug an eine jüdische Organisation spenden. Dieses „Angebot“ wurde aber abgelehnt. Der Mann bekannte daraufhin gegenüber dem Polizisten, dass er kein Problem damit habe zuzugeben was ihm vorgeworfen werde, wenn nur der Filmende keinen Stress bekomme und mit zur Wache müsse. Anstatt nun dieses Geständnis zu Protokoll zu nehmen, griff sich der Polizist an den Kopf, runzelte die Stirn und fragte ihn, ob er das tatsächlich so stehen lassen wolle. Dann müsse er nämlich von Amts wegen ermitteln. Der Beschuldigte sagte daraufhin nichts mehr.


Diese Reaktion der Darmstädter Polizei zeigt, gerade auch auf dem Hintergrund der seit Monaten laufenden Drohmails, unterzeichnet mit „NSU 2.0“, dass die für eine demokratische Polizei erforderliche Sensibilität noch sehr unterentwickelt ist. Hinzu kommt, dass die Darmstädter Polizeiführung es bis heute nicht für erforderlich gehalten hat, hierüber die Öffentlichkeit zu informieren. Dies alleine ist skandalös.
Inzwischen haben mehrere Zeug*innen vor der Polizei ausgesagt. Wir werden den Fortgang des Verfahrens aufmerksam verfolgen.

Bündnis gegen Rechts Darmstadt

Als Bündnis gegen Rechts Darmstadt unterstützen wir den Aufruf von BlockTddzWorms sich an Aktionen des Zivilen Ungehorsams zu beteiligen um den geplanten Naziaufmarsch in Worms zu verhindern.

Für eine gemeinesame Anreise gibt es am 06.06. einen Zugtreffpunk um 9:45 am Darmstädter Hbf. Für mehr Informationen weisen wir auf die Seite des Bündnisses www.blocktddzworms.de hin. Am Tag selbst wird weisen wir auf den Twitterkanal @blocktddzworms und den #blocktddz hin.

Aufruf von BlockTddZWorms:
Am 06.06.2020 wollen Neonazis um die NPD und Die Rechte den sogenannten „Tag der deutschen Zukunft“ (TddZ) in Worms durchführen. Der TddZ ist ein seit 2009 jährlich stattfindender Aufmarsch der rechtsradikalen Szene in Deutschland. Nach vielen Jahren faschistischer und antisemitischer Hetze wird Worms voraussichtlich die letzte Station sein.

Vor diesem Hintergrund hat sich im Sommer 2019 das Aktionsbündnis “Block TddZ Worms” aus lokalen Aktivist*innen und organisierten antifaschistischen Gruppen gegründet.

Worms und die Region sind seit langem ein beliebtes Ziel für Neonazis. Zuletzt wurde die Stadt Alzey häufiger zum Ausflugsziel der Faschist*innen von Die Rechte Südwest und dem Nationalen Widerstand Zweibrücken. 2015 wurde Worms zum Schauplatz eines Aufmarsches von Neonazis der NPD, der mit Blockaden gestoppt werden konnte. Zuletzt versuchten Neonazis den Femizid an einer Wormserin für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

Der TddZ hat Eventcharakter. Wir werden aber nicht nur zu diesem Anlass auf die Straße gehen, sondern auch abseits der großen Veranstaltungen dafür sorgen, dass Worms für die Faschist*innen ein hartes Pflaster ist. Ihrer Ankündigung, bis dahin in der Stadt präsent zu sein, treten wir mit Entschlossenheit entgegen.

Dass Naziaufmärsche mehr als politischer Ausdruck sind, sondern auch der Vernetzung innerhalb der Szene dienen, zeigen Bilder vom Rudolf-Heß-Marsch 1996 in Worms, auf dem Mundlos und Zschäpe gemeinsam mit ihren Kamerad*innen aus dem mutmaßlichen Unterstützerumfeld des NSU demonstrierten.

Unser Ziel ist es, dass die Geschichte des TddZ mit einem Scheitern in Worms endet. Zu diesem Zweck werden wir Aktionen des zivilen Ungehorsams sowie Demonstrationsstrategien planen, an denen sich alle Menschen beteiligen können. Dabei sind wir solidarisch mit allen anderen Aktions- und Protestformen.

Wir rufen alle Antifaschist*innen dazu auf, sich an den Aktionen zivilen Ungehorsams am 06.06.2020 in Worms zu beteiligen! Gemeinsam gegen den Naziaufmarsch!

Das Bündnis gegen Rechts ruft gemeinsam mit anderen Organisationen zu einer Bündniskundgebung am Samstag den 30. Mai um 15 Uhr auf dem Karolinenplatz auf.

Aufruf

[English version below]

Nicht mit Uns! Für eine gemeinsame und solidarische Lösung der Krise

Die Corona-Pandemie wirkt sich wie ein Brennglas auf unsere gesellschaftlichen Verhältnisse und Erwerbsbedingungen aus.

Grenzenlose Solidarität

Wir stehen an der Seite all derer, die von den gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Folgen der Pandemie betroffen sind. Wir stehen auch an der Seite derer, die bereits vor der Pandemie mit den Zumutungen von kapitalistischer Ausbeutung und neoliberalem Profitstreben zu kämpfen hatten. Wir stehen auch den ärmsten und schwächsten zur Seite, die auf unmenschliche Weise vor den Toren Europas in Lagern ohne ausreichenden Schutz ausharren müssen.

Gemeinwohlorientiert

Der neoliberale Kapitalismus war bereits vor Corona in der Krise. Wir wollen dieser Krise gemeinsam und solidarisch entgegenwirken. Dies ist ohne einen sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft nicht möglich. Die Wirtschaft muss sich an der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und an planetaren Grenzen orientieren, nicht an Profitinteressen weniger. 

International und weltoffen

Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen! Wir demonstrieren niemals zusammen mit Neo-Nazis, Nationalist*innen, Antisemit*innen oder anderen menschenfeindlichen Ideolog*innen, Verschwörungsideolog*innen, Corona-Leugner*innen, Impfgegner*innen, braune Esoteriker*innen, religiöse Fundamentalist*innen und geben ihnen keine Bühne und ziehen hier eine klare rote Linie. 

Unsere Antwort auf die Krise

  • Solidarisch – Hilfspakete für Menschen – nicht für Banken und (Groß-)Konzerne.
  • Grenzenlos – Corona macht vor Grenzen nicht halt. Unsere Solidarität auch nicht.
  • Ökologisch – Kein come-back für Dreck. Für eine sozial-ökologische Gesellschaft.

Die aktuelle Krisenbewältigung der Pandemie zeigt, dass der Fokus erneut auf stetiges Wirtschaftswachstum, statt das Wohlergehen aller gelegt wird. 

Aber wir sagen klar und laut: Nicht mit Uns!


Not with us! For a common and solidaric way out of the crisis

Not with us!For a common and solidaric way out of this crisis
The Corona-pandemic is a burning lens onto our social relations and our earning conditions.

Boundless solidarity

We stand with all those, who struggle with the social and economical results of the pandemic. We also stand with those, who suffered from the capitalistic exploitation and neoliberal profitseeking. We stand with the poor and weak, who have to endure the unbearable conditions in camps at the gates of Europe without protection.

Commonwealth

The neoliberal capitalism has been in a crisis even before Corona. We want to face this crisis together and solidarically. This is not possible without an social-ecological remodelling of society. The economy has to serve the needs of the people and has to know the boundaries of our planet. There is not space for the profitseeking of some single individuals.

International and open minded

Fascism is no opinion, but a crime! We will never demonstrate with neo-nazis, antisemits or any other form of misanthropic points of view, conspiracy ideologues, Corona denier, anti-vaxxer, ethnic esoterics, religous fundamentalists. Those will not have a platform in us and here we draw a red line!  

Our answer to the crisis

  • solidaric – help and transfer for people, not banks and entreprises
  • boundless – Corona does not stop at a national border, our solidarity too
  • ecological – no come back for CO2, for a social and ecological society

The current crisis management of this pandemic shows as before, that the focus shifts on the economy and on it only.

But we state loud and clear: Not with us!


Aufrufende Organisationen

  • Bündnis gegen Rechts, Darmstadt
  • Bunt ohne Braun, Darmstadt-Dieburg
  • Arbeitskreis ehemalige Synagoge Pfungstadt e.V.
  • Attac Darmstadt
  • ver.di Südhessen
  • Vielfalt: Jetzt
  • DIE LINKE. Darmstadt und Darmstadt-Dieburg
  • Linksjugend [’solid] Darmstadt
  • Studentenverband SDS – TU Darmstadt
  • Stadtschüler*innenrat Darmstadt
  • Interventionistische Linke Darmstadt
  • Feministischer Streik Darmstadt

Das BGR beteiligte sich am 8. Mai an zwei Kundgebungen vor dem 1. Polizeirevier und dem Staatstheater unter dem Titel: “ 75 Jahre sind genug. Entnazifizierung jetzt!“
Hierbei ging es zum einen um die Kontinuitäten von rechten Gedankengut in den Behörden, den aktuellen Gefahr des Rechtsterrorismus und der Notwendigkeit einer antifaschistisch engagierten Gesellschaft.


Wir dokumentieren unseren Redebeitrag, der vor dem 1. Revier gehalten wurde.

„Heute vor 75 Jahren endete der 2. Weltkrieg mit der „bedinungslosen Kapitulation“ von Nazi-Deutschland. Es ist ein Tag an dem wir die Niederlage des deutschen Faschismus feiern. Es ist ein Tag an dem wir den Millionen alliierten Soldat_innen sowie Partisan_innen Gedenken, die für diesen Sieg ihr Leben gaben. Es ist der Tag der symbolisch für das Ende der Jahre von Grausamkeit und Barbarei steht. Es ist für uns ein Feiertag, zu dem sich auch der Bund bekennen muss. Nach ihrer Befreiung schworen die Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald den Kampf erst einzustellen, wenn auch der letzte Täter vor den Richtern der Völker steht. Es war der Schwur gegen eine Gesellschaft die zu großen Teilen aus den Täter_innen des NSRegimes bestand. Die traurige Wahrheit ist Täter_innen wurden meist nie vor Gericht gestellt, geschweige denn verurteilt.

Staatliche Institutionen wie Polizei, Verfassungsschutz und Bundeswehr wurden in der Nachkriegszeit von Menschen aufgebaut, die ähnliche Funktionen bereits in Hitler-Deutschland bekleidet hatten. Täter saßen an den höchsten Stellen und betrieben ein Personalpolitik, die die ihren schützte und in entsprechende Positionen bugsierte. Das LKA NRW musste erst im Dezember letzten Jahres nach einer Untersuchung eingestehen: „Von den sechs ehemaligen LKA-Direktoren müssen die ersten vier Direktoren als Täter des NSUnrechtregimes in der Zeit bis Mai 1945 bezeichnet werden.“ NRW war dabei vermutlich kein Einzelfall.

Vor allem die Zeit sorgte dafür, dass die ehemalige NS-Täter_innen in den deutschen Behörden zunehmend ausdünnten- ohne hier die Aufklärungsarbeit und Kämpfe von Menschen wie Fritz Bauer zu vergessen. Dennoch konnten sie diese lange führend gestalten. Doch ist mit ihnen auch das rechte Gedankengut aus den Dienststellen verschwunden? Wir sagen

Nein!

Während des NSU-Prozesses wurden mit NSU2.0 unterschriebene Drohbriefe an die NSUOpferanwältin Seda Başay-Yıldız gesendet. Ihre Adresse wurde von Polizist_innen abgerufen und an die Täter_innen weitergegeben, wenn nicht die Polizist_innen selbst die Täter_innen waren. Sind die aktuellen Skandale eine neue Entwicklung bei der Polizei?. Ist die Nordkreuz Chatgruppe aus dem Hannibal-Netzwerk, bei dem sich Polizist_innen sowie aktive und ehemalige Soldat_innen auf die Massentötung von als politische Gegnern, inklusive Listen Löschkalk, dem Horten von entwendeter Munition und dem Versuch eines gefakten Terroranschlags eines syrischen Geflüchteten der sich in Wirklichkeit als der rechtsextreme Offizier Franco A. entpuppte neue Phänomene.

Nein!

Die Geschichte der Polizei, Bundeswehr und Verfassungsschutz ist voll von Skandalen und Verstrickungen ins rechte Milieu bis hin zum Rechtsterrorismus. Kürzlich musste das Bundeskriminalamt die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat von 1980 wieder aufnehmen, da maßgebliche Hinweise auf Mittäter_innen und mögliche rechte Netzwerke ignoriert worden waren.

An der Bundeswehr-Ausbildungsstätte dem Heeresflugplatz Altenstadt, machte bereits in den 90er Jahren von sich Reden, da hier u.a. „Führergeburtstage“ begangen wurden. Auffallend viele Mitglieder des Uniter-Netzwerkes stammen von dort. Unter anderen war dort der rechtsextreme AfD-MdL Andreas Kalbitz Ausbilder.

Einzelfälle oder ein systemimmanentes Problem?

Oury Jalloh´s Tod, die rassistisch geführten Ermittlungen und das Versagen um die Morde des NSU, bei denen den Opferfamilien in kriminelle Milieus gedeutet wurden zeigt ein Versagen des Rechtsstaates auf. Das krampfhafte Festhalten an Einzeltäter_innen bei rechtem Terror oder immer wiederkehrende Berichte über Racial Profiling und anderer rassistischer Verhaltensweisen der Beamt_innen sind skandalös und nicht hinzunehmen.

Ein öffentliches Fehleingeständnis findet in der Regel jedoch nicht statt. Bei dem herrschenden Corpsgeist scheint eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Themen in weiter Ferne. Eine Aufarbeitung wird eher sabotiert. So wurden die hessischen NSU Akten zunächst für 120 Jahre gesperrt und der Verfassungsschutz schredderte im Akkord Akten den NSU betreffend. Erst durch den Mord an Walter Lübke wurde diese Frist auf 30 Jahre gesetzt. Nicht zuletzt Aufgrund der Schuld und Verantwortung den Opferangehörigen gegenüber müssen diese Akten sofort freigegeben werden.

Auch den staatlichen Behörden gegenüber gilt die Unschuldsvermutung. So gibt es bei der Polizei auch eine Art gesellschaftlichen Querschnitt bei dem antidemokratisches Denken, Rassismus, Antisemitismus und Sexismus genauso fest verankert sind wie im Rest der Bevölkerung. Dennoch ist festzuhalten, dass für keine Partei im Schnitt so viele Polizist_innen Positionen bekleiden wie in der AfD. Der parlamentarische Arm der deutschen Ordnungskräfte ist überspitzt gesagt eine rechtsgerichtete Partei, die selbst für einen oft mehr als fragwürdig handelnden Verfassungsschutz durch öffentlichen Druck zum Prüffall berufen wurde.

Und selbst wenn die Polizei, den gesellschaftlichen Querschnitt repräsentieren sollte, ist rechtes Gedankengut im Staatsdienst einer Demokratie und dem NS-Nachfolgestaat nicht zu ertragen. Auch 75 Jahre nach Kriegsende müssen wir feststellen, dass von einer erfolgreichen „Entnazifizierung“ noch lange keine Rede sein. Sollte Polizist_innen, doch mal wieder rechter Aktivitäten ihrer Kolleg_innen öffentlich bekannt werden, ist eine bessere Antwort als der wohl meistgeführte aber auch unglaubwürdigsten Satz von damals, „Von nichts gewusst“ zu wünschen. Wir sagen: Wer bei rechten Aktivitäten, Äußerungen etc. seiner Kolleg_innen schweigt und das Handeln nicht hinterfragt macht sich damals wie heute zur Mittäter_in.“

Kundgebung zum 8. Mai am Staatstheater
Zum wiederholten Male stellte Alfred Haag, der Eigentümer des Hotels Contel, seine Räume für Veranstaltungen der AfD zur Verfügung. Er selbst soll schon öfters  Sympathien in diese Richtung geäußert haben. Aus Gewerkschaftskreisen heißt es, er habe auch jeher alle Versuche  in seinem Unternehmen einen Betriebsrat zu gründen im Keim erstickt. Willige Mitarbeiter seien sofort unter Druck gesetzt oder ganz aus dem Unternehmen entfernt worden.

Am Donnerstag Abend lud die AfD zu einer Veranstaltung mit den Bundestagsabgeordneten Mariana Harder-Kühnel (Hessen) und Martin Reichardt (Sachsen-Anhalt) ins Hotel Contel ein. Das Darmstädter Bündnis gegen Rechts (BgR) rief zu einer Protestkundgebung auf.  Im Folgenden dokumentieen wir die Pressemitteilung des Bündnisses.

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Das Bündnis gegen Rechts Darmstadt (BgR) hatte anlässlich des “Familienpolitischen Abends” der AfD im Contel Hotel (Otto-Röhm-Straße 90) mit den beiden Bundestagsabgeordenten Mariana Harder-Kühnel (Hessen) und Martin Reichardt (Sachsen-Anhalt) eine Kundgebung vor dem Veranstaltungsort am gestrigen Donnerstag, den 21.11.19 von 18 – 22 Uhr angemeldet.

Dem Aufruf “Kein Raum der AfD und ihrer menschenverachtenden Politik” folgten trotz des Streiks der Busfahrer_innen der Heag AG in der Spitze knapp 200 Menschen. Tee, Kaffee, Chili sin Carne und ein wenig Musik sorgten bei den Anwesenden für gute Stimmung und einer für die mit 10 Menschen schlecht besuchten AfD-Veranstaltung nicht zu überhörenden Lautstärke. Transparante mit Schriftzügen wie “Nie wieder” und antifaschister Symbolik machten auch vorbeifahrende Autos auf die kritikwürdige Veranstaltung aufmerksam, die sich häufig durch Hupen (zu dem sie per Schilder aufgefordert wurden) mit dem Protest solidarisierten.

Clara Schneider kritisierte in zwei Redebeiträgen Harder-Kühnel für ihre explizite Nähe zum äußerst rechten Flügel der AfD um den Faschisten Bernd Höcke und legte außerdem den Antifeminismus und Rassismus der Bundestagsabgeordneten anhand von Zitaten dar.

Gegen Ende der Kundgebung machte der Kreisverbandsvorsitzende Sascha Loppnow auf sich aufmerksam, in dem er bei der Abreise mit Absicht in eine Gruppe der Kundgebungsteilnehmenden fuhr, die dem Auto nur durch schnelle Reaktion ausweichen konnten. Verletzt wurde dabei zum Glück und nur durch die Geistesgegenwart der Kundgebungsteilnehmer_innen niemand.

Für das BgR war die hohe Beteiligung an der Kundgebung ein Erfolg. Sie bestärkt uns in unserem Engagement, der AfD und anderer Gruppen rechter Gesinnung in Darmstadt keine Räume unkommentiert zu überlassen. Es ist dies auch als Mahnung an diejenigen zu verstehen, die wie das Contel Hotel Örtlichkeiten für rechte Hetze bereitstellen und so einer menschenverachtenden Ideologie erheblich Vorschub leisten.

Bündnis gegen Rechts
22.11.2019

Interview zu einer Studie über den Einfluss der AfD unter Gewerkschaftsmitgliedern

Bei den letzten Wahlen zum Bundestag, zu den Landtagen und zum EU-Parlament hat die rechte AfD zum Teil sehr hohe Gewinne erzielen können. Obwohl die Gewerkschaften eindeutig gegen die Rechtspopulisten Stellung beziehen, war besonders unter männlichen Gewerkschaftsmitgliedern der Zuspruch zur AfD überproportional hoch. An der TU Darmstadt wurde im Fachbereich Soziologie eine Studie erstellt, die nach möglichen Gründen dieses Zusammenhanges fragt. Deren Ergebnisse sind wichtig, um den Aufstieg der AfD verstehen zu können und um Konsequenzen für die Gewerkschaften abzuleiten. Wir befragten hierzu Prof. Ulrich Brinkmann (UB) sowie Maren Hassan-Beik (MHB) und Lukas Zappino (LZ) vom Projektteam.

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Frage: Wie seid Ihr bei eurer Studie vorgegangen? Wer wurde befragt?

MHB: Wir haben engagierte Gewerkschafter*innen in Bildungsseminaren des IG Metall Bezirk Mitte (Hessen, Thüringen, Rheinland-Pfalz) befragt, sowohl in Form von Fragebögen als auch in Interviews.

Die Befragten, größtenteils Gewerkschafter*innen, die an Bildungsseminaren teilnehmen, aber auch betriebliche Funktionär*innen, haben in der Gewerkschaft eine Scharnierfunktion, da sie zwischen dem gewerkschaftlichen Apparat und den Mitgliedern vermitteln. Sie kennen beide Seiten und vor allem die betriebliche Wirklichkeit und relevante Problemlagen im Arbeitsalltag sehr gut.

Frage: Was waren die Themen der Befragung?

UB: Wir haben vermutet, dass rechtes Wahlverhalten in der Arbeiterschaft Ausdruck einer multidimensionalen Krise ist. Wir haben eine kulturelle Krise, in der alte Wertvorstellungen und Rollenverteilungen in Frage gestellt werden, wir haben die Angst vor dem sozialen Abstieg, wie sie von Oliver Nachtwey ausgeführt wurde und eine Krise der Demokratie. Viele Menschen sind nicht „politikverdrossen“, sondern sie sind verdrossen von der aktuellen Politik und ihren Repräsentant*innen. Zu diesen Themenkomplexen haben wir Fragen zusammengestellt und in Interviews versucht, ein tieferes Verständnis für die jeweiligen Einstellungen und Meinungen zu bekommen.

Frage: Könnt ihr bitte die verschiedenen Krisenerscheinungen noch einmal kurz ausführen?

MHB: Die politische Krise ist ausführlich in der der Postdemokratie-These von Colin Crouch beschrieben worden. Crouch beschreibt, dass die westlichen Demokratien zur innerlichen Erosion tendieren. Zwar finden noch demokratische Verfahren wie Wahlen statt, aber soziale Interessen werden den Anforderungen der Märkte untergeordnet. Ursache hierfür ist u.a., dass handlungsfähige Kollektive, die die Interessen der Lohnabhängigen vertreten und durchsetzen können, geschwächt werden. Diese Entwicklung ist gerade auch von den etablierten Parteien mitgetragen worden.

Die sozioökonomische Krise wird erlebt als ökonomische Benachteiligung, in der Entwertung der eigenen Qualifizierung und des Erfahrungswissens. Am eigenen Arbeitsplatz wird die ständige Verdichtung der Arbeit und die anhaltende Verunsicherung durch dauernde Umstrukturierungen erlebt. Die soziale Situation kann nicht auf das aktuelle Einkommen reduziert werden, sondern wichtig ist auch die subjektive Dimension, die Angst vor dem Abstieg und zukünftigen Entwicklungen.

LZ: Die kulturelle Krise entlehnen wir nicht zuletzt der Diagnose der Abstiegsgesellschaft von Oliver Nachtwey.  Kollektive, klassensolidaritätsbasierte Deutungsmuster der aufgezeigten Problematiken schwinden, während die wiederkehrenden sozialen und nicht selten existenziellen Risiken re-individualisiert werden.

Wir betrachten diese Krise als Ausdruck einer Krise des hegemonialen Neoliberalismus. Die skizzierten Krisen kulminieren in Abstiegsangst und dem Gefühl gesellschaftlicher Entwicklung quasi ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Was verloren geht, ist das Gefühl, noch über Einfluss und Kontrolle auf die eigenen Lebensumstände zu verfügen. Hinzu kommt die Erosion des Vertrauens in die politische Lösungsfähigkeit – gerade für diejenigen Befragten, die rechte Tendenzen aufweisen, ist diese Kombination geradezu charakteristisch.

UB: Eigenes Versagen wird heute als individuelles Versagen gesehen, und nicht in Zusammenhang von den Prägungen durch gesellschaftliche Strukturen. In den letzten Jahrzehnten sind die Erfahrungen von Kollektivität verloren gegangen und eine langer Prozess der Erosion von kulturellem Selbstverständnis hat eingesetzt. Und in diese Verunsicherung stößt die AfD hinein: sie macht Deutungsangebote, z. B. wird der Verteilungskampf umgedeutet in einen Kampf zwischen Deutschen und Flüchtlingen..

Frage: Werden diese Krisenerscheinungen von den Befragten unterschiedlich wahrgenommen?

MHB: Die Auswertung der Fragebögen und der Interviews ergab, dass es sehr unterschiedliche Wahrnehmungen der Krisen unter den Befragten gibt. Wir konnten aber drei Gruppen mit ähnlichem Antwortverhalten ausmachen. Dies waren:

Einmal die „Verunsicherten“. Sie haben ausgeprägte Abstiegssorgen, verbunden mit einem enormen politische Vertrauensverlust und eigenen Ohnmachtsgefühlen. Die Perspektive von kollektiven Handlungsmöglichkeiten wird von ihnen nicht gesehen. Hier finden wir auch eine hohe Fremdenfeindlichkeit.

Dann die „Befriedeten“, eine Art Zwischengruppe. Im Unterschied zu den anderen Gruppen üben sie eine geringe Sozialkritik und fühlen eine relative Sicherheit im Kapitalismus. Es sind überwiegend jüngere Kolleg*innen, die noch wenig politischen Handlungsdruck zu verspüren scheinen.

Die „Sozialkritischen“ äußern am meisten Sozialkritik und ein Unbehagen im Kapitalismus. Sie sind eher krisenresistent, äußern weniger Abstiegsängste und sehen sich selbst als politisch handlungsfähig. Fremdenfeindlichen Aussagen erhalten bei ihnen die geringste Zustimmung. Viele dieser Gruppe sind über 55 Jahre alt.

Frage: Was bedeutet das für das Wahlverhalten?

UB: Im Wahlverhalten zeigen diese drei Gruppen eklatante Unterschiede. Während die AfD bei den „Verunsicherten“ auf Werte von etwa 30 % kommt, sind es in den anderen zwei Gruppen lediglich 5 %.

Frage: Nach den Wahlen in Thüringen gab es im Spiegel ein Interview mit Alexander Yendell vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung. Er behauptet, dass wirtschaftliche Benachteiligung nicht den Erfolg der AfD erklären kann. Viel wichtiger sei vielmehr eine grundsätzliche fremdenfeindliche Einstellung.

MHB: Selbstverständlich reichen sozio-ökonomische Determinanten für die Erklärung des Erfolgs der AfD nicht aus. Unsere Befragten nehmen die von uns beschriebenen Krisen sehr komplex und unterschiedlich gewichtet wahr. Uns ging es auch darum, die Entstehung der Deutungsmuster, darunter auch Fremdenfeindlichkeit, zu erklären und auf die gesellschaftliche Situation zurückzuführen.

LZ: Fremdenfeindliche Einstellungen finden sich zunächst einmal auch bei Wähler*innen im mittleren Parteispektrum, das zeigen auch unsere Ergebnisse. Dies verdeutlicht zweierlei: zum einen muss das Problem rechter Tendenzen viel ernster genommen werden, als es in der Öffentlichkeit geschieht. Zum anderen zeigt sich, dass jenseits grundlegender autoritärer Strömungen, wie sie bereits die Studien der Frankfurter Schule nachgewiesen haben, erklärungsbedürftig bleibt, weswegen sich diese aktuell Bahn brechen können. Die Interviews verdeutlichen auch nochmal wie komplex die Thematik ist. Wir sind z.B. teilweise Personen begegnet, die Unbehagen mit einer offenen Grenzpolitik äußern, zugleich aber im Privaten keinen Kontakt mit Geflüchteten scheuen oder diesen auch haben. Die Frage wäre daher, woher das Unbehagen rührt.

UB: Wir haben in unserer Untersuchung festgestellt, dass der Anteil der AfD-Wähler*innen bei den prekär Beschäftigten mit 30 Prozent am höchsten ist, bei den anderen nur 5 Prozent. Da wo die Verunsicherung am größten ist und die Ohnmachtserfahrung vorherrscht, da gewinnt die AfD. Wir haben aber nicht nur Zahlen ermittelt, sondern auch mit den Leuten geredet. Diejenigen, die sagen „das sind alles Rassisten“ sollten für ihre Studien durchaus mal mit den Leuten, also ihrem „Forschungsgegenstand“, reden. Wir haben beides gemacht, Fragebogen ausgewertet und Interviews gemacht. In den Zahlen sehen wir das bestätigt, was wir in den Interviews erfahren haben.

Frage: Was bedeutet das für die Gewerkschaften? Wie könnten sie der Rechtsentwicklung entgegenwirken?

UB: Die Gewerkschaften spielen eine eminent wichtige Rolle. Sie genießen nach wie vor ein berechtigtes großes Vertrauen. Wir wissen, dass ein großer Teil die AfD aus Enttäuschung über die etablierten Parteien wählt, sie sind noch keine Stammwähler, keine überzeugten Rechten. Aber das Fenster schließt sich, und es gibt dringenden Handlungsbedarf. 85 Prozent unserer Befragten wünschen sich eine offensivere und stärker konfliktorientierte Gewerkschaftspolitik. Das müssen sich die Gewerkschaften unbedingt vergegenwärtigen. Nur wenn sie kämpfen, können sie diesen Vertrauensvorschuss behalten. Die Erfahrung kollektiven Handelns ist wichtig, das Gefühl gemeinsam etwas durchsetzen zu können. Nur so kann den Beschäftigten die Ohnmachtserfahrung genommen werden.

Der politische Kampf wird für die Gewerkschaften immer wichtiger. Dazu gehört auch die politische Bildungsarbeit in den Gewerkschaften. Der Begriff des Kapitalismus muss sich wieder angeeignet werden, damit die Menschen ihre betrieblichen Erfahrungen verarbeiten können.

Frage: Wie sollten wir im Betrieb und in den Gewerkschaften mit Kolleg*innen umgehen, die rechtspopulistische Positionen vertreten?

UB: Wichtig ist es, die Etablierung rechter Strukturen in den Betrieben zu verhindern. Wenn die sich erst mal etabliert haben, kriegt man sie nicht mehr einfach hinaus. Aber grundsätzlich ist es ein Fehler, nicht mit denen zu reden, die die AfD wählen. Es ist falsch, sie einfach als Nazis oder Rassisten zu beschimpfen. Dann machen die dicht und hören uns nicht mehr zu. Das sind ja nicht alles Nazis. Das sind Leute, die bei den letzten Wahlen oft noch Linkspartei oder SPD gewählt haben. Das ist das Problem wenn gesagt wird, das seinen alles Rassisten: Dass man mit denen nicht mehr redet. Wir müssen mit denen reden, müssen ihnen zuhören, damit wir auf ihre Argumente eingehen können.

LZ: Das heißt nicht, dass man deren Argumente übernimmt – es geht vielmehr um Aufklärung und um Entkräftung der Argumente. Gerade im betrieblichen Alltag ist das möglich, aber letztlich auch unausweichlich. Es geht darum, Ursachen sozialer Konflikte aufzuzeigen und z.B. durch solidarisches Miteinander und Kampforientierung zu zeigen, dass Veränderungen durch Solidarität möglich sind. Gerade diese Erfahrung inspiriert z.B. viele Auszubildende, die sich antirassistisch äußern. Sicherlich gibt es andererseits auch Personen, die auch mit Argumenten und Aufklärung nicht mehr erreichbar sind – hier hilft nur die sogenannte klare Kante.

U. Brinkmann / M. Hassan-Beik / L.Zappino
18.11.2019

Es war ein ganz dickes Brett, was die Darmstädter Zivilgesellschaft in jahrelanger zäher Arbeit gebohrt hat. Der Fachbeirat Straßenbenennung, zu dem auch Historiker hinzugezogen wurden, sprach sich (erst mal nicht öffentlich) vor einigen Wochen für die Umbenennung der Hindenburgstraße aus. Am 8.5.19 folgte nun eine Mehrheit im Darmstädter Magistrat dieser Empfehlung. Geplant ist die Umbenennung für 2020, allerdings muss die Stadtverordnetenversammlung noch zustimmen, was aber nach dem Votum des Magistrats und der aktuellen Mehrheitsverhältnisse als sicher gilt.

Nach einer Überklebungsaktion von Mitgliedern des Darmstädter Bündnisses gegen Rechts von Schildern der Hindenburgstraße im Januar 2018 bahnte sich das große Finale an im Streit um die Umbenennung dieser Straße. Ein kurzer Überblick über die letzten Ereignisse:

  • Am 30.1.18, zum Jahrestag der Machtergreifung Hitlers, überkleben Aktivist*innen ca. 30 Schilder der Hindenburgstraße mit dem Aufkleber „Halit-Yozgat-Straße“. Die Polizei rückt mit 4 Polizeiautos und neun Polizisten am „Tatort“ an und nahm von drei Personen die Personalien auf.

  • Protest gegen Darmstädter Hindenburgstraße: Drei Senioren überkleben Straßenschild“ (DE vom 30.1.2018) – so berichtet das Darmstädter Echo am folgenden Tag.

  • Vertreter*innen der Stadtverordnetenfraktion der Linken bringen in der Bauausschusssitzung vom 9.5.2018 einen Antrag ein, zu dem Straßenschild der Hindenburgstraße ein Zusatzschild aufstellen zu lassen mit dem Inhalt „Kriegsherr, Reichspräsident und Wegbereiter Hitlers“. Die SPD unterstützt den Antrag, die Vertreter*innen der anderen Parteien stimmen dagegen und fürchteten eine „negative Außenwirkung“.

  • Am 31.1.2019 hängen Darmstädter Aktivist*innen unter die Straßenschilder „Hindenburgstraße“ eine kurze Erklärung: „Steigbügelhalter des Faschismus“.

  • Das Darmstädter Echo widmet am 11.2.2019 eine ganze Seite der Auseinandersetzung um die Umbenennung der Hindenburgstraße mit der Überschrift „Vom Schild gehoben?“

  • 25.3.19: Vorladung der „Drei Rentner“ zur erkennungsdienstlichen Behandlung von der Kriminaldirektion des Polizeipräsidiums Südhessen.

  • Symbolische Umbenennung wird kriminalisiert“, Erklärung der drei Betroffenen und des Bündnisses gegen Rechts am 9.4.2019.

  • Nicht in unserem Namen! Sollen auf Straßenschildern heute noch Menschen gewürdigt werden, die historisch belastet sind? Darüber wird in Städten und Dörfern gestritten. Am meisten über den Mann, der Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte: Paul von Hindenburg.“ (3-seitiges Dossier (!) in der Zeit vom 14.3.2019 mit Bericht und Bild über die Darmstädter Aktion).“

  • Drei Rentner des Nachts auf der Leiter. Die Diskussion zur Umbenennung der Hindenburgstraße in Darmstadt wird schon seit Jahren geführt. Der Leidenschaft der Debatte tut dies aber keinen Abbruch.“ (FAZ vom 26.4.19).

  • Rechtsstreit wegen Hindenburg. Darmstädter Rentner benennen Straße um / Namensänderung wird zum Politikum“ (FR vom 3.5.19).

  • 8.5.19: der Magistrat beschließt die Umbenennung der Hindenburgstraße.

Dieses rasante Finale kommt mit dem aktuellen Magistratsbeschluss nun zum erfreulichen Abschluss. Was aber schon an eine Groteske erinnert, hat eine fast 20-jährige Vorlaufzeit:

  • Bereits im Jahr 2000 stellte der damalige Vorsitzende der Jüdischen  Gemeinde Darmstadt, Moritz Neumann in einem Vorwort zu einem Buch die Frage, warum „eigentlich die Hindenburgstraße noch immer Hindenburgstraße“ heiße.

  • Im Dezember 2002 und 2004 stellte die Stadtverordnetenfraktion PDS/DKP/Offene Liste den Antrag, die Hindenburgstraße umzubenennen. Beide Initiativen wurden abgelehnt.

  • 2005 sprach sich die Straßenbenennungskommission einstimmig für die Umbenennung der Hindenburgstraße aus.

  • Die Stadtregierung hatte jedoch Angst vor ihrer eigenen Courage. Statt die Straße umzubenennen, wurden die Anwohner*innen und die dort ansässigen Unternehmen auf Initiative des Grünen Stadtrats Feuchtinger befragt, ob sie der Umbenennung zustimmen. Wie nicht anders zu erwarten, sprachen sich die übergroße Mehrheit der etwa 150 Befragten gegen die Umbenennung der Straße aus.

  • Noch Anfang 2013 befürworteten die Grünen eine Umbenennung: „Die Geschichte rechtfertigt eine Umbenennung der Straße“, so ihre Fraktionssprecherin Hildegard Förster-Heldmann

  • Im August 2013 – nunmehr in der Opposition – stellte die Darmstädter SPD-Fraktion den Antrag, die Hindenburgstraße umzubenennen.

Seit Kriegsende und insbesondere seit Aufkommen der Diskussion vor etwa 20 Jahren um die Benennung einer Darmstädter Hauptverkehrsstraße nach Hindenburg, fand sich keine der – wechselnden – politischen Mehrheiten bereit, um das „Problem Hindenburgstraße“ wirksam anzugehen. Es war ein Trauerspiel. Von einer politischen Erinnerungskultur kann nicht die Rede sein.

Kann sich nun nach dem neusten Magistratsbeschluss Darmstadt mit Recht und in aller Ruhe Wissenschafts- / Digital- / und Schwarmstadt nennen? Ein alter Oberbürgermeister verbreitete mal diesen Slogan: „Darmstadt – die Stadt im Walde“. Zum Glück steht aber die Darmstädter Zivilgesellschaft nicht im Walde.

MICHELSTADT / ODENWALDKREIS. Das Bündnis „Odenwald gegen Rechts – bunt statt braun“ und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) im Odenwaldkreis verurteilen auf das Schärfste die erneute Hakenkreuzschmiererei an der Michelstädter Synagoge. Da hierbei auch von einem möglichen „Dummen-Jungen-Streich“ die Rede ist, fragt Irmhild Rittmeyer, die Sprecherin des Bündnisses „Odenwald gegen Rechts“: „Was müssen Täter noch auf Synagogen schmieren, wenn ein durchgestrichener Davidstern in Kombination mit einem Hakenkreuz nicht ausreichen, ihre faschistische Gesinnung und ihren Antisemitismus zum Ausdruck zu bringen?“.

DGB Kreisvorsitzender Harald Staier (Höchst) und DGB Regionssekretär Horst Raupp (Darmstadt) stellen fest: „Der oder die Täter haben die Nazi-Schmiererei wie üblich im Schutz der Nacht verübt. Zur braunen Gesinnung kommt die übliche Feigheit hinzu. Offensichtlich scheut man hier aus gutem Grund das Licht des Tages“. Die Gewerkschafter betonen: „Wer nach dem Holocaust an den europäischen Jüdinnen und Juden und der industriell betriebenen Ermordung von Millionen Menschen in den Vernichtungslagern der Nazi-Diktatur immer noch Hakenkreuze schmiert, zeigt, dass er aus der Geschichte nichts gelernt hat. Der Angriff auf die Synagoge ist ein Angriff auf die Demokratie und auf alle Bürgerinnen und Bürger. Für Nazis und Antisemiten mit ihrer verbrecherischen und menschenverachtenden und menschenvernichtenden Ideologie ist im Odenwald kein Platz. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“.

Der DGB und Odenwald gegen Rechts fordern: „Der oder die Straftäter müssen zügig ermittelt und mit aller Härte des Gesetzes zur Rechenschaft gezogen werden“. Es müsse ein klares und deutliches Signal gesetzt werden: „Nazi-Propaganda wird im Odenwald nicht geduldet“.

11.04.2019

 

Erkennungsdienstliche Behandlung der Aktivist*innen

Am 30. Januar 2018, dem Jahrestag der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch Hindenburg, überklebten einige Aktivist*innen die Straßenschilder der Hindenburgstraße. Es war eine symbolische Aktion für die Umbenennung der Straße, da  ihrer Meinung nach der Steigbügelhalter Hitlers nicht mit einem Straßennamen geehrt werden sollte. Völlig unangemessen scheint in diesem Zusammenhang die Reaktion der Staatsanwaltschaft. Gegen die drei Personen, die bei der Aktion von der Polizei angetroffen wurden, wurde Anklage wegen Sachbeschädigung und Amtsanmaßung erhoben. Und jetzt sollen sie sich auch noch einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterziehen. Die drei Betroffenen haben einen Offenen Brief verfasst, in dem sie zu dieser Aufforderung  Stellung nehmen.

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Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde,

im Rahmen einer politischen Aktion haben wir mit anderen zivilgesellschaftlich engagierten Menschen am 29. Januar 2018 die Darmstädter Hindenburgstraße symbolisch (durch das Überkleben des Straßenschildes mit einem anderen Straßennamen: Halit-Yozgat-Strasse) umbenannt.

Durch eine aufmerksame Bürgerin erfuhr hiervon die Polizei, die uns und die Leiter am letzten zu beklebenden Straßenschild angetroffen hat.

Im Ermittlungsverfahren gegen uns, bot die Staatsanwaltschaft an, das Verfahren wegen geringer Schuld einzustellen, gegen die Auflage, dass wir jeweils 200,00 Euro zahlen.

Dies haben wir abgelehnt.

Das Ergebnis ist eine Anklage wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung und Amtsanmaßung und somit ist damit zu rechnen, dass demnächst eine öffentliche Verhandlung auf uns zukommt.

Der beigefügte Artikel in der Wochenzeitung Die Zeit hat sich dieser Aktion und der Frage, ist die Hindenburgstraße in der heutigen Zeit endlich umzubenennen, angenommen und am 14. März ausführlich darüber berichtet.

Viele von Ihnen/Euch werden den Artikel gelesen haben, dennoch füge ich ihn als pdf an.

Wir schreibe Ihnen/Euch heute, weil sich nun etwas ereignet hat, was uns sehr betroffen macht:

die Darmstädter Polizei will uns jetzt einer Erkennungsdienstlichen Behandlung unterziehen, weil *“damit zu rechnen ist, dass Sie (wir) auch in der Zukunft in polizeiliche Ermittlungen einzubeziehen sein werden.“*

Dies betrachten wir als eine nicht hinzunehmenden Versuch der Kriminalisierung und haben dagegen Widerspruch eingelegt.

Über den weiteren Vorgang würden wir Sie/Euch gerne auf dem Laufenden halten.

Mit freundlichen Grüßen

Renate Dreesen, Peter Friedl, Angelika Schröder

09.04.2019

Die Umbenennung der Hindenburgstraße ist ein Dauerbrenner in Darmstadt. Schon im Jahr 2005 hatte sich die Straßenbenennungskommission in Darmstadt einstimmig für die Umbenennung der Hindenburgstraße ausgesprochen. Was passierte dann? Die Stadtverwaltung kam auf die glorreiche Idee, die Anwohner – und nur diese – zur Umbenennung zu befragen. Diese sprachen sich mit überwiegender Mehrheit gegen die Umbenennung „ihrer“ Straße aus. „Mit dem Argument, die Beibehaltung des Namens sei praktischer, weil niemand seinen Briefkopf ändern muss, macht man es sich zu einfach“, so kommentierte es der Geschichtsprofessor Eckart Conze.
Noch Anfang 2013 befürworteten auch die Grünen in Darmstadt eine Umbenennung: „Die Geschichte rechtfertigt eine Umbenennung der Straße“, so ihre Fraktionssprecherin Hildegard Förster-Heldmann. Nun mehrheitlich an der Regierung änderten die Grünen ihre Haltung. Die Stadtregierung machte es sich in den nächsten Jahre einfach und reagierte auf die immer wieder erhobene Forderung nach Umbenennung mit dem Verweis auf die „demokratische Entscheidung“ der Anwohner.
Doch geschichtsbewußte Darmstädter*innen und das Bündnis gegen Rechts ließen nicht locker. Aktivist*innen überklebten am 31.1.2018 die Straßenschilder der Hindenburgstraße mit dem Schild „Halit-Yozgat-Straße“ (Halit Yozgat war das neunte Opfer der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) in Kassel). Sie wollten anlässlich dieses Datums an die Machtergreifung der Nationalsozialisten erinnern, die durch die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Hindenburg am 30. Januar 1933 ihren Anfang nahm. Die Antwort der Darmstädter Behörden: Eröffnung eines Verfahrens wegen Sachbeschädigung und „Amtsanmaßung“.
Das Thema Umbenennung der Hindenburgstraße wurde damit in Darmstadts Öffentlichkeit noch präsenter. Die Linken brachten wiederholt einen Antrag zur Umbenennung der Hindenburgstraße in das Stadtparlament ein. Zuletzt forderte die SPD im Januar diesen Jahres eine Umbenennung der Hindenburgstraße in Mirjam-Pressler-Straße (Mirjam Pressler übersetzte die Tagebücher der Anna Frank und schrieb selbst viele Kinder- und Jugendbücher). Sogar das Darmstädter Echo widmete am 11.2.2019 eine ganze Seite der Auseinandersetzung um die Umbenennung der Hindenburgstraße mit der Überschrift „Vom Schild gehoben?“. Es zitierte Oberbürgermeister Partsch mit der Aussage, dass in etwa zwei Monaten die Empfehlungen des Fachbeirats zum Umgang mit den Darmstädter Straßennamen veröffentlicht werde.
Doch am 31.1.2019 wollten die Darmstädter Aktivist*innen nicht länger warten. Diesmal nahmen sie keine „Amtsanmaßung“ vor, sondern hängten unter die Straßenschilder „Hindenburgstraße“ eine kurze Erklärung: „Steigbügelhalter des Faschismus“.